Donnerstag, 28. Januar 2010

Dramatisch


„Wer glaubt, dass Afghanistan allein mit militärischen Strategien gesichert werden kann, der irrt sich dramatisch.“ So Guido Westerwelle, seines Zeichens Außenminister der Bundesrepublik Deutschland. Warum nicht wie üblich „militärische Mittel“, warum "Strategien" und die gleich noch im Plural, warum soll sich da jemand „dramatisch“ irren? Westerwelle neigt wie eh und je zum rhetorischen Überschuss, und seine Vorliebe für die Vokabel „dramatisch“ lässt er auch nicht zum ersten Mal durchblicken. Die deutsche Hilfe für das vom Erdbeben verwüstete Haiti, sagte er kürzlich, sei „angesichts der dramatischen Lage“ aufgestockt worden. Oder er beklagte, dass der Respekt vor  den Menschenrechten von Frauen und Homosexuellen in Honduras „dramatisch" gelitten habe. Schon vor der Wahl, die ihn ins Auswärtige Amt katapultierte, warnte er, eine Zusammenarbeit seiner Partei mit Sozialdemokraten und Grünen werde sich als „dramatischer Fehler" erweisen.  Dass Bild den gleichen Ton anschlägt und nun einen „dramatischen Vertrauensverlust für Schwarz-Gelb“ meldet, ist wohl keine Parodie. Das Blatt liebt bekanntlich Dramen, und wie einer in den Wald ruft...
Wir müssen uns nicht zu sprachkritischem Purismus versteigen und behaupten, die lexikalischen Feldfrüchte  "Drama" und "dramatisch" seien  ausschließlich zum Genuss im Zusammenhang mit dem Theater und seiner Literatur  bestimmt. Aber es fällt doch unangenehm auf, dass ausgerechnet der Chef unserer Diplomaten die Zunge nicht zähmt.

Samstag, 16. Januar 2010

Konrad Reich


Mit Bedauern, weil wir uns länger als sieben Jahre nicht gesehen hatten, habe ich vor drei Tagen an ihn gedacht. Da war er schon tot, aber ich wusste es nicht. Die Nachricht stand erst heute im Morgenblatt:  27 Zeilen im Feuilleton, Überschrift: Hinstorffs Gesicht.  Das Gesicht des Rostocker Verlags Hinstorff war Konrad Reich in der Tat gewesen, und zwar weit über den Tag hinaus, an dem unser Altersgenosse Harry Tisch ihn dort vom Schreibtisch gejagt hatte – Harry Tisch, der gelernte Bauschlosser und SED-Multifunktionär, der seinerzeit im Lande Meckpom viel zu sagen hatte. 
Darüber, dass die beiden nicht mehr miteinander klargekommen waren, konnte sich niemand wundern, der sie einmal beim gemeinsamen Auftritt erlebt hatte. Harry Tisch  war ein gerissener Machthaber mit Clownsgesicht; Konrad Reich war eine sogenannte blendende Erscheinung und hatte es ebenfalls hinter den Ohren, dies aber auf die feine Art. Jemand wie Harry Tisch konnte so etwas auf die   Dauer    nicht aushalten.
„Was ist eigentlich so verschieden an uns und unserer Situation?“, fragte Konrad Reich eines schönen Tages bei Kaffee und Köm während der Leipziger Buchmesse. Er meinte nicht Harry Tisch, sondern mich. Ich hatte ihm mit einer Bemerkung  über meine Situation in der Zeitung, in der ich die Literaturseiten machte, die Vorlage geliefert. Mein Verleger hatte mich wissen lassen, dass er über die Literatur und das Blattmachen anders dachte als ich, und das Ende meiner Tätigkeit in seinem Hause war abzusehen. Ich versuchte meinem Freund Konny, den Unterschied, nach dem er gefragt hatte, zu erklären. Zwischen meiner Haustür in Hamburg und seiner Haustür in Rostock lagen gut 200 Kilometer, und wenn ich mich zu ihm auf den Weg machte, überquerte ich nach 40 Kilometern bei Lauenburg/Elbe eine Grenze, hinter der ganz andere Rechtszustände herrschten, die mir nicht gefielen, von Machtverhältnissen ganz zu schweigen.
„Du musst die herrschenden Verhältnisse beherrschen“, sagte Konny. Ob die Weisheit auf seinem Mist gewachsen war, oder ob er einen gescheiten Mitmenschen zitierte, weiß ich nicht – die Antwort  passte.
Konrad Reich beherrschte die DDR-Verhältnisse insofern, als er auch ohne  Verlags-Chefsessel derselbe blieb und als Herausgeber und Autor den Markt mit Büchern von bestechender Qualität bereicherte. Der Hinstorff-Verlag, in dem der kreative Büchermacher gemeinsam mit dem nicht minder kreativen Lektor Kurt Batt Schriftsteller wie Erich Arendt, Jurek Becker, Franz Fühmann und Klaus Schlesinger versammelt hatte, zog sich unterdessen auf Wunsch der Obrigkeit wieder aufs Regionale zurück.
Als die DDR in den letzten Zügen lag, stand Konny unverhofft in meinem Büro im NDR an der Hamburger Rothenbaumchaussee. Es könne doch nett werden, sagte er, wenn wir uns ein paar Minuten zusammen vors Mikrophon setzten. Über die Wiedervereinigung werde er allerdings kein Wort verlieren. Ich warf das Programm um, und wir lieferten zusammen eine der Sendungen ab, auf die ich bis heute stolz bin. Über die Meinungsverschiedenheit, ob Deutschland vereint werden oder ob es bei zwei Deutschlands bleiben solle, verloren wir verabredungsgemäß kein Wort. Wir brauchten die Frage nicht.
Drei Jahre später, im August 1992, waren wir mit unseren Frauen und einem befreundeten Paar aus der Branche in Rostock verabredet. Konny hatte in der Altstadt eine Qualitätsbuchhandlung eröffnet, aber die Konkurrenz aus dem Westen machte ihm das Leben sauer. Er überlegte, ob er einen eigenen Verlag gründen solle. Nicht weniger Sorgen machte ihm die Entwicklung der Dinge vor der Tür. Im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen tobte der Mob gegen Ausländer.
Vor dem rassistischen Pöbel wichen wir in ein nobles Restaurant in Graal-Müritz aus. Der Abend hatte auch sonst seine hintergründigen Augenblicke. Einen davon löste eine der Frauen mit der Frage aus, wie Konny und ich unsere Freundschaft zu DDR-Zeiten gehandhabt hatten. Ich sagte, dass ich  immer  vermutet habe, dass der Reisekader Konrad Reich zu Hause interessierten  Stellen über unsere Begegnungen berichten müsse. Ebenso sei ich überzeugt gewesen, dass er Markus Wolfs Mannen schon etwas Passendes erzählen werde. Konny lächelte, er war einverstanden mit der Antwort.
Die Verhältnisse im wiedervereinigten Deutschland hat Konrad Reich nie in dem Mäße beherrscht, in dem er die Verhältnisse in der DDR gemeistert hat. Ich hätte es ihm gegönnt.
jn, 16. Januar 2010                                                                                                                                             Foto: Ostsee-Zeitung

Montag, 11. Januar 2010

Könnerschaft – nicht Kitsch oder doch?

    Paul Delaroche, Hinrichtung der Lady Jane Grey 
    British Museum, London

Soviel steht fest: Die wollüstige Historienmalerei des 19. Jahrhunderts ist schwieriger zu fälschen als  ein Impressionist. Nach 147 Jahren des Fort-und-Fortschreitens der Moderne seit Manets Frühstück im Grünen spürt  Niklas Maak in der FAS von heute dem Umdenken in Dingen der Salonkunst nach. Bemerkenswert.

Sonntag, 10. Januar 2010

Deutschlehrer



Hallo Robin, es gibt seltsame Zufälle. Gestern hat uns deine Mutter erzählt, dass dein Lehrer mit deinem Aufsatz über Erich Kästners Gedicht Die Sache mit den Klößen nicht einverstanden war. Heute brachte 3sat einen Beitrag  über  das Missverstehen im Deutschunterricht. Dummer Weise hatten sich die Programmmacher einfallen lassen, die ausgezeich­nete Vorlesung  der Professorin Inge Vinçon aus Heidelberg zwi­schen 6.45 Uhr  und 7:30 Uhr morgens zu senden, während ich aufstand, das Frühstück machte und die Zeitung lesen wollte, weswegen ich nur Bruchstücke der Einsich­ten der Frau Professor mitbe­kam.  Aber es ging darum, dass die Menschen einander dauernd missverstehen und dass es besonders ärgerlich  ist, wenn es ihnen im Deutschunterricht passiert. Denn, so Inge Vinçon: In der Deutschstunde sollen die Schüler lernen, ihr Sprachbewusstsein zu entwickeln und die Sprache differenziert anzu­wenden. Differenziert soll in diesem Zusammenhang wohl heißen, dass die Schüler lernen, möglichst genau auszudrücken, was sie sagen wollen.
Das ist goldrichtig, und Lehrer sollten es sich hinter die Ohren schreiben, was auch und gerade für Pädagogen in der Deutschen Schule in Rom gilt, vor denen ja nicht nur deutsche Kinder sitzen, sondern auch italienische und obendrein Zweisprachler wie du.
Statt dessen bestand die erste Einladung zum Missverständnis in deinem Fall wohl darin, dass ihr anhand des Kästner-Gedichts zeigen solltet, was ihr von Gegenständen und Formen der Ballade begriffen hattet. Die Sache mit den Klößen ist witzig und treffend, aber worauf es in einer Ballade ankommt, lässt sich an anderen Beispielen besser erklären, vor allem an Beispielen aus der Blütezeit der Gattung im 19. Jahrhundert. Wenn du wieder nach Hamburg kommst, werde ich dir ein Großes Deutsches Balladenbuch in die Hand drücken, und ich verspreche dir, dass du Spaß daran haben wirst. (Kästners  Klöße stehen allerdings nicht drin.)
Balladen erzählen in  Versen und Strophen Geschichten, und je aufregender die Geschichten sind, desto besser kommen sie beim Publikum an. Dafür hatten die Leute in alten Tagen zweifellos mehr Sinn als heute. Mittlerweile gehen sie eben lieber ins Kino oder setzen sich vor den Fernseher, als Verse zu genießen. Gestritten wurde vor ein paar Jahren sogar schon darüber, ob die Zeiten der Balladen nicht endgültig vorbei seien, und gemeint war, dass die Gattung mehr edle Leidenschaft verlange, als uns in unserer belämmerten Gegenwart zu Gesicht stehe. Das war auch so ein Missverständnis.
Tatsächlich können begabte Leute über vieles Balladen schreiben. Es ist nicht einmal ausgeschlossen, dass jemand eine Ballade über einen Deutschlehrer verfasst.
Mir fällt Dr. Friedrich Teichert ein, der uns in der Kieler Gelehrtenschule Deutsch und später auch Englisch beibrachte. Irgendwann – es kann 1938 gewesen sein, und ich war etwas jünger, als du jetzt bist – betrat er unsere Klasse mit Bücherstapeln unter beiden Armen. Er ließ die Bücher verteilen und nannte die Seite, die wir aufschlagen sollten. Um welches Gedicht es sich handelte, mit dem wir uns dann beschäftigten, weiß ich nicht mehr. Es wird aber ein gründlicher und interessanter Unterricht gewesen sein. Wenn Teichert über Literatur sprach, ging es meistens gründlich und interessant zu. Als es klingelte, wollten wir die Bücher zurückgeben, aber Teichert sagte, dass wir sie behalten sollten. Die Schulbibliothek brauche sie nicht mehr.
Es handelte sich um Theodor Echtermeyers Auswahl Deutscher Gedichte für höhere Schulen, erschienen im Jahre 1926. Inzwischen waren die Nazis an der Macht. Sie hatten viele der Dichter verboten, die bei Echtermeyer nachzulesen waren, und das war der Grund, warum Teichert uns die Bücher zusteckte. Die meisten von uns, ich selber eingeschlossen, haben wohl erst später begriffen, was er uns da schenkte.
Die Überschrift einer Ballade, die diese Geschichte erzählt, könnte Die List eines Lehrers in dummer Zeit lauten. Bei mir hat sie, die List, Erfolg gehabt. Der Echtermeyer steht heute noch im Bord. Er hat einen neuen Einband, aber es ist die Ausgabe von 1926, und es sind Lehrer wie Dr. Teichert, die ich meinen Enkeln wünsche, sofern sie die Schule noch nicht aufatmend hinter sich gelassen haben.
Halt die Ohren steif, lieber Robin
Dein Großvater
Ps.: Zu welcher pädagogischen Gattung Herr Lämpel gehört, dessen Konterfei ich mir von Wilhelm Busch geliehen habe, um es oben auf diese Seite zu stellen, sollten wir gelegentlich erörtern. Leider gibt es ja auch böse Buben und schlimme Mädchen, die ihre Lehrer zur Verzweiflung treiben. 

Sonntag, 3. Januar 2010

Dein Rot, Guttuso























PONY NOLTE. 
Dein Rot, Guttuso, 1997
Mischtechnik, 60 x 80, Privatbesitz







GUTTUSOS ROT

Dein Rot, Guttuso, ist verblichen.
Du hast, glaubtest du,
die Hoffnung des Volkes gemalt.
Aber das Volk wurde nicht glücklich.
Denn an die Macht gelangt,
verfielen die neuen Herrscher in
die Gewohnheiten der Vorgänger
und überfraßen sich an der Macht.
Das Volk aber gehorchte
wie immer.

Trauer um Dein Rot, Guttuso?
Vielleicht. 

Doch es kam, wie es kam,
Geblutet haben zu viele,
und neben dem Rot des Blutes
verblasste das Rot der Fahnen.

Dein Rot, Guttuso,
verblüht im Museum

Jost Nolte




Bild und Gedicht stammen aus dem Jahre 1997. Sie sind uns wieder eingefallen, als neulich jemand fragte, ob sich nicht beim jüngsten Ärger über den Kapitalismus doch noch einmal ein Versuch mit den Sozialismus empfehle  - natürlich mit besseren Sozialisten. Das Rot des Genossen Renato Guttuso hat  Pier Paolo Pasolini dazumal so bescheworen: „Dein Rot, Guttuso, / wird in die Geschichte eingehen, /als ein Fluss, der in die Wüste verströmt. / Dein Rot wird das  Rot sein; /das Rot des Arbeiters / und das Rot des Dichters, / ein einziges Rot, / aussprechend die Realität / des Kampfes, / der Hoffnung, des Sieges / und des Mitleids." Quelle: Als guter Realist muss ich alles erfinden - Internationaler Realismus heute, Katalog des  Kunstvereins und Kunsthauses Hamburg, Hamburg 1978, S. 98)


















Samstag, 2. Januar 2010

Druckwerke



SPIEGEL-online unterhält uns mit einem Bericht über einen dummdreisten Betrugsversuch: Ende des Monats stehen im Vorarlberger Feldkirch ein verkrachter Anwalt und ein ebenfalls wenig Vertrauen erweckender Langzeitarbeitsloser aus Deutschland vor dem Landgericht. Gemeinsam sollen die beiden Schlauberger versucht haben, in einer Privatbank im Kleinwalsertal 202 Eine-Million-Dollar-Noten einzuwechseln; 291 gleiche oder ähnliche Scheine hatten die Herren zwecks gleicher Verwendung in einem Koffer dabei. Eine Prüfung ergab, dass es sich bei 295 der Noten um Ein-Dollar-Noten handelte, denen jemand – „aufwändig und sehr professionell“ – sechs Nullen hinzugefügt hatte. Der Rest waren Fälschungen plumperer Art.
Wir dürfen gespannt sein, was die Richter im schönen Österreich von der Geschichte halten.
Der Spaßvogel Andy Warhol hat 1962 ein Werk mit dem Titel 200 One Dollar Bills geschaffen. Gegenstand des Siebdrucks mit Bleistift auf Leinwand im Format 203,8 x 234,3 cm: 200 naturgetreue Ein-Dollar-Noten. Bei Sotheby´s in New York hat das Bild im November 2009 für 39 Millionen Dollar den Besitzer gewechselt. Die Taxe hatte bei acht bis zwölf Millionen Dollar gelegen.
In beiden Fällen ging es ersichtlich um die Vermehrung von Kapital. Die Unterschiede springen ins Auge. Verstehen wir sie als Anregung: Gegen 18 Uhr des 2. Januar 2010 betrug die Staatsverschuldung der Bundesrepublik Deutschland etwa 1.730. 658.290 Euro. Pro Kopf der Einwohner ergab dies 21.210 Euro. Zu einem kräftigern Ruck der Zeiger der Schuldenuhr werden demnächst die famosen Maßnahmen unserer Regierung zur Ankurbelung der Konjunktur sorgen...
Leute, druckt große Scheine!

Freitag, 1. Januar 2010

Notiz

Endlich den FAZ-Beitrag von Jürg Altwegg zum bevorstehenden Todestag von Albert Camus aus dem Stapel mit Ungelesenem gezogen: hervorragend. Mir fällt ein, dass mich Camus´ grässlicher Unfall vor 50 Jahren fast das Leben gekostet hätte. Als die Nachricht aus dem Ticker kam, war es noch zwanzig Minuten bis zum Redaktionsschluss. Zwei Minuten später saß ich an der Schreibmaschine und hämmerte ohne nachzudenken auf sie ein. Georg Ramseger riss mir die Blätter aus der Maschine und hetzte den Redaktionsboten einzeln mit ihnen in die Setzerei. Als ich auf die Sekunde fertig war, war ich wie aus dem Wasser gezogen, und mein Puls tobte bei 240. Ramseger.: „Den Pulitzer-Preis kriegen Sie für den Beitrag nicht. Sowas machen wir nie wieder.“ Ich war derselben Ansicht. Camus´ deutscher Verleger Ledig-Rowohlt war anderer Meinung. Er rief am nächsten Morgen an und bedankte sich für den Nachruf. Ich habe mir meinen Text nie wieder angesehen.