Krippenspiel, Münster 1957 Foto: Matthias Msatussek |
Vierundfünfzig Jahre später hätte der Darsteller des Jesuskindes von dazumal, Mathias Matussek, nichts dagegen, wenn alles geblieben wäre, wie es seinerzeit war. (Nur die Wohnung dürfte etwas größer sein.) Er ist aufgewachsen im selbstgewissen Glauben, den ihm die Eltern vorgelebt haben, und er ist ihren Überzeugungen treu geblieben. Davon abgesehen ist er einer der begabtesten Köpfe im kritischen deutschen Journalismus. Wie er beides zusammenbringt, frappiert gehörig.
Der Ironiker von Gottes Gnaden, zückt das Florett, wenn jemand es wagt, Ehre und Weisheit der römisch-katholischen Kirche in den Schmutz zu treten. Notfalls schwingt er den Knüppel. Seine beste Waffe aber ist sein Witz, und im Fall von Sympathie und Freundschaft soll Gnade walten. Dem Kollegen Henryk M. Broder, der gern als brillanter Gottesleugner unterwegs ist, vergibt Matussek sogar den Atheismus. Mit Broder geht es ihm offensichtlich wie dem Rabbiner, der dem Streithammel neulich an den Kopf geworfen hat, er wisse gar nicht, wie jüdisch seine Synapsen funktionieren. Seele grüßte Seele, und Broder lächelte geschmeichelt. Die Verbundenheit im Glauben funktioniert auch noch in der Negation. Fast packt mich blanker Neid.
Mit der Kirche und ihren Päpsten, sagt Matussek, hat er zeit seines Lebens Glück gehabt. Natürlich weiß er, dass im Vatikan auch schon andere Stellvertreter Gottes, dass sogar Bösewichte auf Petri Stuhl Platz genommen haben, aber die gegenwärtige Bilanz macht ihm Mut. Im Übrigen: Der Mensch muss glauben; andernfalls müsste er verzweifeln – glauben auf die unterschiedlichste Art. Schwerste Rätsel sind inbegriffen. Psalm 139 will, dass dem Menschen gewiss ist, Gott erforsche und kenne ihn. Im selben Atemzug singt die Gemeinde, der Allerhöchste solle die Blutgierigen verjagen und die Gottlosen von der Erde tilgen. Was für ein Christentum ist es, das darum fleht?
Einwände gegen Glaubensvorstellungen müssen im Einzelnen diskutiert werden; am Recht des Vatikans, sich in Fragen des Umgangs mit Gott das letzte Wort vorzubehalten, soll nicht gedeutelt werden, solange die Kirche sich selber treu bleibt. Das Wort hat der Missionar Matussek. Er bekennt seinen Glauben und löst Titel und Untertitel ein: Das katholische Abenteuer – Eine Provokation. Er will jedermann den Satan austreiben. Zum Glück ist auch der Witz eine Waffe. Der kongeniale Umschlag seiner 358-Seiten-Gehirnwäsche signalisiert es. Über dem Titel schwebt ein ulkiger gelber Heiligenschein, den Vornamen des Verfassers schmücken zwei rote Teufelshörner, die Unterzeile erwischt ein schwarzer Dreizack gerade noch bei der letzten Silbe, am Hinterteil sozusagen.
Einige Fragen drängen sich dem Andersdenkenden auf. Wer evangelisch getauft und konfirmiert ist, kehrt offenbar seiner Kirche leichter den Rücken als ein Katholik, und die Abwendung schmerzt ihn weniger. Aber: Für wen und gegen wen spricht diese Erfahrung? Der katholische Klerus versteht sich besser darauf, Schafe einzufangen, als die Pfarrer der Reformation, und er bewacht den Pferch besser; für den Fall, dass die Herde oder einzelne Tiere trotzdem ausbrechen, pflanzt er ihnen ein wirksames Heimweh-Gen ein. Aber: Was, wenn seine Mutter Kirche lediglich die bessere Propaganda zu bieten hätte, und die Freiheit des Christenmenschen, bis hin zum Verzicht auf das Christentum, das höhere Gut wäre? Dass vielen, wenn nicht den meisten Menschen Schrecken und Verzweiflung in die Glieder führen, wenn sie erkennen müssten, dass der Himmel leer ist, bleibt anzunehmen. Aber: Abgesehen von den Sternen, ist der Himmel sehr wahrscheinlich wirklich leer.
DVA, 360 S., 19,99 € |
Der zuständige Heilige heißt Hiob; er ist im Alten Testament der Leidende schlechthin. Trost verspricht seinen Nachkommen allein, dass es so viele Hiobs gibt. Ein probater Weg aus dem existentiellen Elend: Die Hiobs dieser Welt schließen sich zusammen, gründen eine Notgemeinschaft, stiften eine Heilslehre, bauen Tempel und streben danach, möglichst alle verlorenen Seelen unter ihrem Dach zu versammeln.
Daraus bezieht Matthias Matussek seine Einsichten. Sie tragen zur Wahrheitsfindung bei; anzuzweifeln sind sie der erwähnten Ungewissheiten wegen trotzdem. Eins aber trifft ebenfalls zu: Die Theologie überlässt der Provokateur Matussek den Theologen. Ihm ist es um den lebendigen Glauben zu tun, und mit ihm trumpft er so glänzend auf, dass es gelegentlich selbst einen eingeschworenen Atheisten aus dem Lesesessel reißen will. Ich behaupte nicht, dass ich schon auf dem Weg zum nächsten Pfarramt war, um nach einem Aufnahmeformular zu fragen, aber ich ertappe mich dabei, wie ich mir die Szene ausmale. Matthias Matusseks katholisches Abenteuer ist nicht nur bestechende Literatur, es ist auch eine Verlockung.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen