Und nun also überrascht uns Günter Grass mit dem Bekenntnis: „Die Idee, dass er (Marquardt) für den Staatssicherheitsdienst arbeiten würde, kam mir auch nicht ansatzweise.“
So die Reaktion des Literatur-Nobelpreisträgers auf die Entdeckung, dass Marquardt nicht nur bei der Stasi über ihn geplaudert, sondern ihn auch in ihrem Auftrag bei einem Besuch auf Rügen begöscht und gepäppelt hat, damit den Urlauber nicht die Kirche unter ihre Fittiche bekam. Nachzulesen ist dies auf einigen der 2200 Aktenseiten, welche Stasi über Grass angesammelt und nach denen der Rundfunkautor Kai Schlüter erst ein Radiofeature und nun ein Buch verfasst hat (Günter Grass im Visier, Links-Verlag, Berlin 2010, 379 S., 20 Abb., 24,90 €).
Grass der gutmütige Zugereiste aus dem Westen, der einem gerissenen Spitzel auf den Leim gegangen ist? Einem Feld-, Wald- und Wiesenpolitiker könnten wir das gestelzte Erstaunen vielleicht noch abnehmen, aber dem Autor, der mit seiner Danziger Trilogie vor einem halben Jahrhundert die Literaturszene aufrüttelte?
Zugegeben, die Kundgaben des Praeceptor Germaniae, zu dem sich der Autor Grass so gern aufschwingt, klangen von jeher etwas verquast, und allerspätestens seit seinem Erinnerungs-Traktat Beim Häuten der Zwiebel, in dem er endlich mit seinem Kriegsdienst in der SS-Panzerdivision Frundsberg herausrückte, sind wir auch hellhörig, was seine Belletristik angeht. Aber diesmal geht es um schlichte Menschenkenntnis, und entweder ist sie Grass nun endgültig abhanden gekommen, oder der Satz über Hans Marquardt und die Stasi ist eine faule Ausrede. Wäre er mehr als ein Versuch, der Gefahr zu entkommen, sich schon wieder zu blamieren, müssten wir uns um Günter Grass endgültig Sorgen machen.
Doch vergessen wir nicht: Schriftsteller sind zarte Seelen. Wie zart, kann uns niemand ergreifender vor Augen führen als Martin Walser. In seinen Tagebüchern von 1974 bis 1978 schildert er, wie ihn Marcel Reich-Ranicki an den Rand des Selbstmords getrieben hat, als der Kritiker seinen Roman Jenseits der Liebe als – so wörtlich – belanglos, schlecht und miserabel übers Knie brach (Martin Walser, Leben und Schreiben, Rowohlt Verlag, Reinbek 2010, 590 S., 24,95).
Selbstmord? Walser tobte. Ihn beutelten Hass und Wut und er drohte – im Tagebuch – Reich-Ranicki an, ihn bei der nächsten Begegnung ins Gesicht zu schlagen, „mit der flachen Hand übrigens, weil ich Ihretwegen keine Faust mache...“
Wie es sich für einen Schriftsteller von Geblüt gehört, ist aus der Backpfeife ein Buch geworden: Walsers Satire Der Tod eines Kritikers, erschienen 2002. Welcher Rezensent da gemeint war, war von der ersten Verlags-mitteilung an klar, und die Debatte über den „Beleidigungswert“ trotz eingeräumter Bemühung um „annähernd komplexe Erzählstruktur“ (Jan Philipp Reemtsma) entbrannte auf der Stelle. Vernünftiger war es wohl, daran zu erinnern, dass es sich empfiehlt, in einer Beleidigung, die auf eine Beleidigung antwortet, keine Beleidigung zu erkennen. (§ 199 StGB über wechselseitig begangene Beleidigungen).
Nun fragt sich, inwiefern das Aufwärmen einer Beleidigung in Tagebuchform einen Beleidigungswert erneuert. Der Unterhaltungswert, den die Sache schon jetzt hat, wäre wie von 1978 bis 2002 über Jahre hinaus gesichert.
jn, 7. März 2010)
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