Über ihren Ersten Bürgermeister Ole von Beust erzählen sich die Hamburger, dass er in seiner Amtszeit keinen Fuß in eine der Kultureinrichtungen der Hansestadt gesetzt habe. Das muss nicht stimmen, und wenn es so war, hatte er ja die zuständige Kollegin, die in jeder Premiere und zu jeder Eröffnung einer Ausstellung erschienen sein soll. Der Bürgermeister und die Kultursenatorin waren dank Arbeitsteilung eng verbunden. Das gilt auch für beider Abgang. Folgerichtig hat Ole von Beust im Epilog zum eigenen Rückrittstheater vom Amt verkündet, dass Karin von Welck ebenfalls ihren Sessel räumt. Das Bedauern der Betroffenen hielt und hält sich in Grenzen, aber sie waren und sind ratlos.
À propos die Theater. Sie waren schon immer Irrenanstalten, und die Opernhäuser waren die geschlossenen Abteilungen. Ihnen gerecht und mit ihnen fertig zu werden, war für Politiker noch nie ein Kinderspiel, zumal Kulturpolitik anders, als die Theaterleute unerschütterlich annehmen, nicht nur aus Theater besteht. Zum Beispiel besteht sie zusätzlich aus Bildender Kunst (Museen), Musik (Elbphilharmonie), Literatur (Literaturhaus, Bücherhallen) und Film (Filmförderung) sowie obendrein – was sich nach Fritz Pleitgens Massen-Picknick auf der Autobahn in der Kulturlandschaft an der Ruhr nun endgültig herumgesprochen haben dürfte – aus Alternativem (in Hamburg: die sogenannte Fabrik in Ottensen).
In der Freien und Hansestadt Hamburg ist diese Spielart der Politik wie überall auf der Welt Glückssache, aber sie ist erstaunlich oft gelungen. Verantwortlich waren die unterschiedlichsten Senatoren. Als die nun der Stadt abhanden gekommene Präsidin der zuständigen Behörde anno 1947 geboren wurde, hieß der Amtsinhaber Ludwig Hartenfels. An ihn dürfte sich kaum noch jemand erinnern. Umso mehr Eindruck hat bei den Zeitgenossen Hans-Harder Biermann-Ratjen hinterlassen, der Hartensfels´ Vorgänger gewesen war und auch sein Nachfolger wurde. Biermann-Ratjen kam von der Elbchaussee, war von Haus aus Notar, sah auch so aus und setzte bleibende Maßstäbe in der Kunst, mit geringen Mitteln – über den Daumen 1 Prozent des Etats der Hansestadt – Gutes zu bewirken. Intendanten, Museumsdirektoren und die Chefs der Philharmoniker wie der Symphoniker, die er holte, waren Respektspersonen, und ihre Hervorbringungen waren Stadtgespräch – es war eine schöne Zeit in der kaputten Stadt.
Und es wurde über lange Jahre nicht langweiliger. Der Senator, ob einer Partei verschworen oder parteilos, tat gut daran, sich an den Wahlspruch des Bernhard von Clairvaux zu halten. Dieser Christenmensch hatte die berühmte Bescheidenheit des aufgeklärten Preußenkönigs Friedrich II. vorweggenommen und gesagt: Praesis ut prosis, non ut imperes, auf Deutsch: Sei der erste, um zu dienen, nicht um zu herrschen. Im übrigen kam es in der Kulturpolitik darauf an, jeweils den schlauesten Weg zu finden und den anderen Stadtoberen oder wahlweise Mäzenen so viel Geld wie möglich abzuschwatzen für eine Sache, der sie nicht über den Weg trauten. Und notfalls galt es, mit Anstand zu scheitern. Als beispielsweise der Schauspielhaus-Intendant Hans Lietzau Hamburg mit blankem Vertragsbruch düpierte und sich nach Berlin absetzte, um an der Spree zu zeigen, was er an der Alster versprochen hatte, blieb dem Kultursenator – er hieß Reinhard Philipp – nichts übrig, als die Stadt seinerseits mit einem revolutionären Vorschlag zu verblüffen. Der Freidemokrat schlug vor, die Leitung der größten deutschen Bühne einem Kollektiv von Originalgenies aus der nächsten Generation der Theaterleute ausliefern. Daraus wurde dann nichts, aber als statt der Hydra mit fünf Köpfen der Kritiker Ivan Nagel allein zum Hausherrn an der Kirchenallee erkoren wurde, waren nicht nur die Hamburger erleichtert, die zuvor gezittert hatten, und Nagels Regentschaft verlief erwartungsgemäß höchst respektabel.
Vergleichbares hat die bis dato letzte Kultursenatorin nicht zu bieten. Gewiss, trotz der kostenträchtigen Baustelle Elb-Philharmonie und trotz irrwitzigen Einfällen wie jenen, aus Kostengründen die Galerie der Gegenwart zu schließen oder einträgliche Stücke aus den Magazinen der Kunsttempel zu verscherbeln – trotz diesen und anderen Fehlgriffen war Karin von Welck die einzige Namhafte in Ole von Beusts Kabinett der Namenlosen, aber je öfter ihr Name fiel, um so weniger Begeisterung löste er aus.
Dass die Senatorin sich davongeschlichen hat, passt ins Bild. Das Schlimmste aber ist, dass Hamburg seine Kulturbehörde abermals feilbieten muss wie sauer Bier. Das war schon so, als Ole von Beust zum ersten Mal auf Brautschau ging und sich lauter Körbe holte. Einen davon bekam er von Karin von Welck, die dann beim zweiten Kniefall ja sagte. Inzwischen ist die erste Hälfte der zweiten Beust´schen Amtszeit verstrichen. Der prospektive Nachfolger, wenn er denn gewählt wird, sucht einen Verwalter für zwei Jahre. Wer soll sich darauf einlassen?
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