Ein Beispiel aus alten Tagen: Die Dissertation über die Maldaniden-ausbeute des Forschungsschiffes
Poseidon in Nord- und Ostsee, der Philosophischen Fakultät der Universität zu Kiel vorgelegt anno 1912
, überzeugte die Prüfer. Der Doktorand hatte geleistet, was Doktoranden zu leisten haben; er hatte Neues herausgefunden und es plausibel eingeordnet. Sein Stolz auf den Erfolg schlug sich nicht nur im selbstbewussten Dank an die Eltern nieder, die sich sein Studium und das von zweien seiner Geschwister vom Munde abgespart hatten; dieser Stolz sprach auch aus dem Spott des Naturwissenschaftlers über Mediziner und Juristen. Die Mediziner, sagte der Biologe Dr. Wilhelm Nolte gern, schrieben sich ihren Doktorhut zwischen zwei Portionen Kuchen im Café Rolfs am Kieler Schlossgarten zusammen, und die Juristen mussten nur an den Lippen ihrer Doktorväter hängen und alles nachplappern, dann bekamen sie die angebliche Würde nachgeworfen. Einen gewissen Respekt hatte der Zögling des einer Klostergründung im Jahre 1135 entsprossenen Gymnasiums zu Holzminden an der Weser, der sein Latein und sein Griechisch bis zum Lebensende beneidenswert beisammen hatte, nur vor den Geisteswissenschaften, weshalb ich nie den Verdacht loswurde, dass mein Vater seine Diffamierungen von
Knochenbrechern und
Rechtsverdrehern im Grunde seines Herzens für die reine Wahrheit hielt.
Seine eigene Wahrheit fing er auf Fischkuttern, die auf Nord- und Ostsee kreuzten, in Planktonnetzen ein, legte sie unters Mikroskop und zeichnete sie mit Skriptol auf Pergamentpapier aufs Säuberlichste ab – Kleinstlebewesen im Meer, eben Maldaniden und später Anneliden. Und wenn mein Erzeuger hätte erleben müssen, wie ich 1947 aus der Wissenschaft desertierte, wäre eine Vater-Sohn-Tragödie unausweichlich geworden. Sie ersparte uns der frühe Tod meines Alten Herrn, ein Schlag, der mich hart traf, aber nichts an meinem Entschluss änderte, ein Literat und kein Gelehrter zu werden
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Wissenschaft anno 1912, als noch kaum einer ahnte,
was da in Nord- und Ostsee schwamm © jn-foto (2) |
Doch gerade wegen dieser noch nach Jahrzehnten leb- und leidhaften Erinnerung an einen familiären Konflikt kann ich dem Sohn Karl Theodor von und zu Guttenberg nachfühlen, dass er seinem Vater Enoch von und zu Guttenberg den Gefallen tun und ihm als nachweisbarer Akademiker vor Augen treten wollte. Dann wurde daraus ein bisschen viel Arbeit und ein Tanz auf verschiedenen Hochzeiten, und dann ist es passiert...
Wer sagt nun, was recht und rechtens und richtig ist?
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Dr.W.N. mit jn 1936
© jn-archiv |
Akademiker und Nicht-Akademiker haben so gut wie alles zum Thema gesagt. Trotzdem umwittern uns weiterhin Geistesblitze und fliegen uns Fundstücke um die Ohren. Zum Beispiel steuert Ingrid Schäffner, Leserbriefschreiberin aus Offenburg, aus dem 8. Kapitel von Fontanes Irrungen und Wirrungen den köstlichen Dialog zweier Offiziere über einen Kameraden bei, der sich in der Kriegsschule mit einer hervorragenden Arbeit einen Platz im Generalstab verdient haben soll: »Übrigens habe ich noch eine (...) Nachricht. Afzelius kommt in den Generalstab.« - »Welcher?« - »Der von den Ulanen.« - »Unmöglich.« - »Moltke hält große Stücke auf ihn, und er soll eine vorzügliche Arbeit gemacht haben.« - »Imponiert mir nicht. Alles Bibliotheks- und Abschreibesache. Wer nur ein bisschen findig ist, kann Bücher leisten wie Humboldt oder Ranke.« Nicht ganz so geistreich, aber mindestens ebenso den Nagel auf den Kopf treffend, bietet sich ein anderes literarisches Werk an – Wilhelm Meyer-Försters Alt-Heidelberg, eine Herz und Nieren ergreifende Schnulze, die nach ihrer Uraufführung 1901 Jahrzehnte lang immensem Erfolg hatte. Sie war dermaßen beliebt, dass unzählige deutsche Knaben nach dem rührseligen und doch standesbewussten Helden Karl Heinrich, Erbprinz von Sachsen-Karlsburg, auf den Namen Karlheinz, wahlweise Karl-Heinz, getauft wurden. In der zweiten Szene des Schauspiels will sich ein Staatsminister mit einem kühlen
Guten Morgen, meine Herren von Untergebenen verabschieden, aber einer von ihnen, ein gewisser Herr von Metzing, hält ihn auf:
Metzing: Gestatten, Exzellenz, wenn man von einem Glückwunsch reden darf – Seine Durchlaucht der Erbprinz hat am gestrigen Vormittag das Reife-Examen für die Universität in einer so glänzenden Weise bestanden, – und, wenn man so sagen darf: gewissermaßen unter den Auspicien Euer Exzellenz, – dass Euer Exzellenz wohl ergebensten Glückwunsch gestatten.
v. Breitenberg (Kollege Metzings): Ich bitte gleichfalls –
Staatsminister: Ja, es war ein – e – sehr gutes Examen, jawohl.
Metzing: Summa cum laude, wie man hört?
Staatsminister: Jawohl, sehr – e – durchaus entsprechend – ja.
Metzing: Seine Durchlaucht wird nunmehr die Universität zu Heidelberg besuchen...
Staatsminister: Ganz recht, Seine Durchlaucht reist bereits morgen.
Metzing. Ah, das ist sehr interessant.
Breitenberg: Sehr...
Staatsminister: Guten Morgen, meine Herren. (Er geht ab.)
Metzing (zu Breitenberg): Wissen Sie, wer mitgeschickt wird? Nach Heidelberg?
Breitenberg: Hm?
Metzing: Der Doktor. Der Jüttner. Der Schulmeister. Der dicke Mensch.
Breitenberg: Na ja. Wer sollte denn sonst...
Metzing: Wer? Mein lieber Breitenberg, ein Kavalier! Wenn Seine Durchlaucht die Hochschule bezieht, gewissermaßen zum ersten Mal in die Welt hinaustritt, so hat ihn kein Schulmeister zu begleiten, sondern ein Kavalier! Der mit exakter Sorgfalt jeden Schritt in der korrekt vorgeschriebenen Weise leitet. Das ist meine Ansicht!
Breitenberg: Na ja...
Metzing. Das ist meine Ansicht...
Karl Theodor zu Guttenberg hat den Bayreuther Doktor erst einmal summa cum laude eingeheimst, und wäre ihm das Malheur nicht unterlaufen, hätte ihm der Titel ewiglich zur Zierde gereicht. Das wirft kein gutes Licht auf die Alma Mater. Wenig imponierend schnitten auch jene Kritiker ab, die gestern reflexartig im Parlament den Minister skalpieren wollten. Zumindest ahnen sie, dass sie ein gefährliches Spiel spielen, falls sie sich seiner tatsächlich entledigen wollen. Denn tun sie es, werden sie nicht nur beträchtliche Wählerscharen verärgern; den Abgeordneten selber würde der Mann fehlen, von dessen Glanz ein Abglanz noch auf hinterste Hinterbänke gefallen ist.
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Einen unleugbaren und durch nichts zu ersetzenden Vorzug hat der Doktortitel freilich: Er erspart seinen Inhabern die pflichtgemäße Reaktion Bitte ohne Doktor, zu der wir Nicht-Promovierte uns gezwungen sehen, wenn uns jemand, der vermutet, wir hätten Anspruch darauf, mit Herr Doktor anredet.
Übrigens: Ohne dass es gelingen will, sie zu entern, segelt mir eine weitere literarische Erinnerung durch den Kopf: Durchlaucht, gerade eben flügge, geruhen, sich einem Rigorosum unterziehen zu lassen. Der Prüfer befleißigt sich, königlicher Hoheit nicht nur ein mundgerechtes Thema zu unterbreiten; beim geringsten Zögern des fürstlichen Kandidaten steht der Professor bereit, ihm die Antwort auf die Zunge zu praktizieren. Der hochkarätige Scherz kann aus den letzten Tagen des zweiten deutschen Kaiserreichs stammen, vielleicht aber auch, als Nachhall, aus der Feder eines der Meister der kleinen Form in den berühmten Zwanzigern des Jahrhunderts der Schrecken.
Hilft mir jemand auf die Sprünge?
Eine naturwissenschaftliche Fakultät, die den Dr. rer. nat. verliehen hätte, gab es noch nicht.