Beuys: Stuhl, Klorolle, Kronleuchter, Betrachter |
Der Kurator Uwe M. Schneede hat einen bestechenden Durchblick. Keine Beziehung eines Künstlers zu welchem anderem Künstler auch immer entgeht ihm. Zum Beispiel hängt er den Richterschen Küchenstuhl neben die Richtersche Klorolle und die wiederum neben die Richtersche Flämische Krone, die in Wahrheit einen Kronleuchter darstellt, und wenn ich die beigefügten Texte richtig im Kopf habe, denkt Schneede bei Richters Möbel an Joseph Beuys und dessen Stuhl mit Fett (1963), bei Richters Klorolle aber an Marcel Duchamp und dessen mit dem Namen R. Mutt signiertes Urinal aus dem Sanitärhandel, dem der Erfinder des Objet trouvé den wundervoll-berühmten Titel Fontain verlieh (1917). Und die Krone? Sie tut, was Kronen tun – sie krönt das Arrangement der drei Richter-Gemälde aus dem Jahr 1965 in der ihnen gemeinsamen grauen Unschärfe. Das passt tatsächlich zusammen, die Hinweise sind geistreich und lehrreich, und beides gilt für die ganze Ausstellung Gerhard Richter – Bilder einer Epoche, die seit zwölf Tagen neben dem Hamburger Rathaus im Bucerius Kunstforum zu sehen ist und anscheinend schon den verdienten Zulauf hat.
Seit gestern nun machen Hubertus Gaßner, Schneedes Nachfolger auf dem Sessel des Direktors der Hamburger Kunsthalle, und der Mitkurator Daniel Koep dem Bucerius-Forum im Hubertus-Wald-Forum mit ihrer Ausstellung Unscharf – Nach Gerhard Richter Konkurrenz. Daran, dass es jeweils doppelt hubertust und forumst, ist niemand schuld; so heißen die Leute und die Einrichtungen eben, und das kluge Publikum wird dorthin finden, wohin es will. Ob es andererseits um Konkurrenz geht oder um Zusammenwirken, wie Gaßner es wohl lieber verstanden sähe, mögen die Herrschaften unter sich ausmachen. Entscheidend ist: Bei Schneede handelt es sich um fünfzig Richters, bei Gaßner und Koep um schätzungsweise zwanzig beachtliche Werke des Künstlers, und unter dem Dach der Galerie der Gegenwart hängt in einer dritten Inszenierung namens Übermalt Verwischt Ausgelöscht zwischen anderen pflichtschuldigst ebenfalls Richter. Zuviel Richter aber ist dies keinesfalls. Wir haben unser Vergnügen an ihm.
Es steigert sich noch, wenn Gaßner und Koep wie in der Pressekonferenz zur Eröffnung der Ausstellung durch die Räume führen. Gaßner ist ein Assoziationsartist von Gnaden, Koep ist ein sorgsamer Betrachter, dabei entdeckungsfreudig und begeisterungsfähig. Aber was heißt Unschärfe oder gar neue Unschärfe? Ein Schlüssel dazu findet sich im ausgezeichneten Katalog (bei Hatje Cantz, im Museumsshop zum Spottpreis von 29 €, im Buchhandel für 35 €).
Was sage ich Schlüssel? Ein ganzes Schlüsselbund.
Journalistin oder Journalist beim Preview unscharf jn-fotos (2) |
Künstlerin im Spiegel Unscharf-Kartlog |
Der Spiegel nämlich beginnt zu zittern, wenn sich ihm jemand nähert, und also blickt der Betrachter aus der Entfernung auf sein klares Konterfei, während es unscharf wird, sobald ihn der Melder erfasst. In der Pressekonferenz zur Eröffnung spielte Hubertus Gaßner prompt auf die Eigenart der Begegnung mit der Kunst an. Vis a vis mit ihr gehe es ganz ähnlich zu. Die Künstlerin stand lächelnd am Rande, und ihr Lächeln sagte, es sei immer interessant, einen intelligenten Menschen reden zu hören.
Im Katalog springt den Kuratoren der Philosoph und Germanist Bernd Hüppauf (Washington und New York) bei. Er greift auf Ludwig Wittgenstein zurück (S.78). Genau so gut hätte er Jean-Paul Sartre bemühen können. Denn: Unscharf stellt sich das Terrain dar, das zwischen Sein und Nichts liegt, und es fordert jeden heraus, der sich dort bewegt. Zu befürchten ist allerdings, dass nicht nur das Nichts, sondern auch das Sein aller Klarheit entbehrt, von der einst Descartes träumte, und dass Hopfen und Malz ohnehin verloren sind. Summa summarum: Die Ausstellung Unscharf – Nach Gerhard Richter ist eine Herausforderung. So gut wie jedes Werk drängt auf Antworten. Das heißt: Das Ganze regt an und macht Spaß.
Ps.: Das Angebot mit Übermaltem, Verwischtem und Ausgelöschtem von Francis Bacon bis Wols in der Galerie der Gegenwart spricht vom Zweifel der Kunst an der Kunst und wirkt vergleichsweise zusammengeklaubt. Sehenswert ist es dennoch. Nur ein Kopf-über-Bild von Georg Baselitz verwirrt ungehörig. Der Künstler hat offenbar vergessen, es zu übermalen, denn gemalt hat er das Werk, wie er alle Werke malt, wobei Übermalung ihnen sämtlich nur gut tun könnte.
jn, 11. Februar 2011
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