Es ist Zeit, sich Sorgen zu machen um den Ästhetikprofessor und Kunstkritiker Jürgen Johannes Hermann Brock, der 1936 in Stolp/Hinterpommern/Deutschland (heute Słupsk/Pomorze/Polska) geboren wurde und den die laufende Weltgeschichte dann ins schleswig-holsteinische Itzehoe verschlug, wo er im Kaiser-Karl-Gymnasium lernte, dass Schwätzer in Homers Griechisch Bazon hieß. Ob der junge Mann daraufhin aus eigenem Antrieb seine kernigen deutschen und biblischern Vornamen gegen Bazon eintauschte oder ob ihn irgendein Witzbold von Lehrer oder Mitschüler umtaufte, entzieht sich meiner Kenntnis. Jedenfalls blieb es bei diesem Kriegsnamen, und der hat Brock wohl eher genützt als geschadet. Der Interpret in allen Gassen der Kunst trug auf Schritt und Tritt Kennerschaft zur Schau; der angenommene Name ironisierte die Pose auf bemerkenswerte Weise und schien Humor zu beweisen. Zuletzt, so weiß die Nation, trat Brock mit dem Pseudonym aus Hellas anno 2008 in der 3sat-Sendung Bilderstreit auf. Dann setzte ihn die Redaktion aus Gründen, die nicht publik wurden, vor die Tür und seinen Widerpart Jean-Christophe Ammann gleich mit.
Ehrlich gesagt, ich vermisse sie noch immer. Zwar spielte der Moderator Brock lieber den Piranha im Goldfischbecken, als zu moderieren, und Ammann verstrickte sich mehr als einmal in schweizerischer Nachdenklichkeit, bevor er höflich ein fundiertes Gegenargument anbot. Nun aber, ohne die beiden, läuft alles ärgerlich glatt. Experten vermitteln dem Publikum den Eindruck, es lerne, mit dem Wahren und Schönen umzugehen, und niemand mag zugeben, dass er sich langweilt.
Schlimmer ist etwas anderes: Die Abwesenheit vom Bildschirm scheint Bazon Brock um Witz und Verstand gebracht zu haben. Beweis: Sein Pamphlet Aufstand der Alten auf Seite 28 der jüngsten Ausgabe der Kunstzeitung, die ihre Herausgeber Gabriele Lindinger und Karlheinz Schmid in 200.000er Auflage Monat für Monat an Museen und Galerien verteilen, wo sie gratis angeboten wird. Das Blatt einzustecken, sei dringend empfohlen, weil in ihm zuverlässige Information und freimütiges Urteil durchweg professionell daherkommen. Durchweg – das heißt, wir befinden uns im Kunstbetrieb, und auch in der Kunstzeitung tauchen nahezu naturnotwendig die Unarten des Milieus auf, das verblasene Gerede und der große Zeigefinger. In dieser Übung aber hat Bazon Brock fürs erste den Vogel abgeschossen.
Denn er zetert unflätig über die jungen Kolleginnen Julia Voss von der FAZ und Catrin Lorch von der Süddeutschen, die sich erlaubt haben, über eine Retrospektive mit 150 Gemälden und Skulpturen von Markus Lüpertz in der Bonner Bundeskunsthalle anders zu denken als die Ehrengarde des Künstlers.
Der Kunsthändler Michael Werner aus Köln und der Kunsthistoriker und Ausstellungs-Essayist Werner Hofmann aus Wien haben ums Jahr 1970 herum für Lüpertz ihr Wort verpfändet, der Bonner Kunsthallen-Intendant Robert Fleck, ebenfalls aus Wien, hat den Schwur im vergangenen Herbst mit seiner Retrospektive abermals bekräftigt, und Bazon Brock aus Stolp war höchstselbst schon immer auf der richtigen Seite: Mit vereinten Kräften haben sie Markus Lüpertz auf den Weg geleitet, auf dem er zum Malerfürsten gereift ist, zu jener bekannten Gestalt, die als Dandy in Perfektion auftritt, aber ziemlich grobe, an Bühnenbild- und Plakatmalerei gemahnende Bilder in Riesenformaten schafft, wobei er wie einige seiner Generationsgenossen eine seltsame Neigung für Kriegsmaterial hegt und pflegt, das in seinem Fall vorwiegend aus Stahlhelmen besteht.
Catrin Lorch und Julia Voss sind anderer Meinung, und Brock zetert unflätig. Die jungen Kolleginnen sind für ihn wortwörtlich Kunsthostessen, Kunstmarktweiber, Kränzchen-Kritikerinnen, Kunstkommentier-Errynien und zur Abwechslung auch einmal Damen, was selbstredend als Gegenteil von einem Kompliment gemeint ist. Sie haben keine Ahnung und nie ein Buch in der Hand gehabt, vor allem keins von Werner Hofmann oder von Bazon Brock. Dafür tragen sie Brustpanzer und... – lassen wir das.
Unterdrücken wir auch den Impuls, nach dem Krankenpfleger zu rufen, weil da ein alter Mann ins Toben geraten ist, und halten wir stattdessen fest: Anderer Meinung als die Prinzengarde des Malerfürsten durften wir über Markus Lüpertz auch schon sein, als Werner Hofmann an der Alster zum ersten Mal Lüpertzsche Bilder aushängte – anderer Meinung der Malerei und ihrer Themen wegen. Nach gebotenem Umkehrschluss durfte Hofmann bis heute auf seiner Überzeugung beharren und sie so glänzend begründen, wie es seine Art ist. So ist es gute Regel. Ein Aufruf zum Aufstand der Alten a la Bazon Brock aber ist nur peinlich. Jemand sollte die Randale abblasen, bevor sie irgendwer ernst nimmt.
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