Donnerstag, 4. Februar 2010

Die Sache mit dem Esel, der das Gras frisst


Handelnde Personen:
Daniel Cohn-Bendit, Wortführer der Studentenrevolte, begleitet von einem Rudel von Mitrevolutionären
jn, seinerzeit Redakteur der WELT DER LITERATUR (WDL) und Kollegen, die ihm stumm den Rücken stärken.
Zeit der Handlung: September 1968
Ort der Handlung: der Messestand der WDL auf der Frankfurter Buchmesse.
Inhaltsangabe:
Präsentiert werden die 64 Seiten der Messe-Ausgabe der Literaturbeilage der WELT aus dem Hause Axel Springer. Die Titelseite nimmt ein Foto des Friedenspreisträgers des Jahres ein, des Dichters und Staatsmannes Léopold Sédar Senghor aus dem Senegal. Sein Leben und Werk würdigt der Poet Gaston Bart-Williams aus Sierra Leone auf der dritten Seite. Die übrigen Beiträge stammen größten Teils aus der Redaktion. Der Springer-Boykott der Autoren  zeigt Wirkung. Wir haben von unseren Mitarbeitern einen Korb nach dem anderen bekommen, die meisten mit der wenig tröstlichen Schleife: „Wir meinen nicht euch; es geht ums Prinzip.“ In Blickweite haben die Revolutionäre den Messestand der Zeitschrift  PUBLIK zerlegt. In seinen Trümmern üben sich Redakteure und Verlagsleute in dem ehrenwerten Versuch, Gleichmut zu zeigen.
Daniel Cohn-Bendit, im folgenden DCB, und seine Mannen nebst einigen jungen Frauen sind auf dem Vormarsch. Ich atme durch und harre der Dinge, die da kommen. DCB baut sich vor mir auf und mustert mich skeptisch. Ich mustere DCB. Alte Burschenregel: Wer zuerst mit den Wimpern zuckt, hat verloren.  Oder Tom Sawyer und Huckleberry Finn bei ihrer ersten Begegnung. DCB und ich halten den Augenkontakt durch,  bis DCB loslegt. Er fragt, wie sich ein linksliberaler Intellektueller in den Tagen der Weltrevolution fühle. Es ist rhetorisch gemeint; DCB hat die Antwort selber parat. Er sagt, dass ich mir nach allem, was man über mich höre, in dieser Rolle gefalle, aber sie sei kläglich, und jeder, der sie spiele, gebe ein trauriges Bild ab. Ich lasse  die Attacke ins Leere laufen und warte auf die nächste Frage. Sie kommt prompt: Ob mir klar sei, will DCB wissen, dass der Friedenspreisträger Léopold Sédar Senghor einen mehr als nur fragwürdiges Begriff von der Négritude habe, nämlich einen rassistischen. Diesmal antworte ich. Ich sage, dass ich die Vorwürfe kenne, dass aber Gaston Bart-Williams über Senghor geschrieben habe, nicht ich, und bei uns zähle nun einmal die Weltsicht der Autoren.
„Liberal!“, sagt DCB
„Liberal“, bestätige ich.
„Scheißliberal“, sagt DCB.
„Ihre Ansicht“, sage ich.
In den nächsten zehn Minuten deckt mich  DCB mit einem Trommelfeuer ein: Was, so will er wissen, haben wir in der WDL zu diesen oder jenen Themen wann und mit welcher Tendenz gesagt? Ich sehe hinter DCB die Augen des Rudels blutlüstern leuchten, entschließe mich zu Notwehr und argumentiere, indem ich das Blaue vom Himmel herunterhole. Seltsamer Weise  komme ich damit durch. Plötzlich dreht der Inquisitor ab. Er winkt dem Gefolge, und sie verschwinden. Der WDL-Stand ist heil geblieben. Die Kollegen von Publik verstehen die Welt nicht mehr. Wenn ich ehrlich sein soll, verstehe ich sie ebenso wenig wie sie.
Leider fehlt ein Protokoll des Verhörs. Ich könnte es aus dem Ärmel schütteln, beschließe aber, ehrlich zu bleiben und mich auf das zu beschränken, was ich tatsächlich im Kopf habe. Darauf und auf einen Hinweis auf meinen Bericht zum Abschuss der Messe 1968 in der WELT, den ich buchstäblich verdrängt hatte. Zu meinem größten Missvergnügen habe ich ihn im sogenannten Medienarchiv  wiederentdeckt, das der Axel Springer Verlag ins Netz gestellt hat, nachdem er mangels Interesse auf der Gegenseite mit der Einladung zu einem Springer-Tribunal nach Apo-Art gescheitert war.[1]
Den Einfall hat vermutlich Thomas Schmid gehabt, der gegenwärtige Chefredakteur der WELT. Jedenfalls sah das Projekt  ganz nach ihm aus: Er ist nicht nur ein heller Kopf, es liegt auch nahe, dass es ihn drängte, der Republik zu erklären, wie er seinen originellen Berufsweg von Cohn-Bendits Pflasterstrand, der legendären Sponti-Zeitung, erschienen zu Frankfurt/M von 1976 bis 1990, in Springers Führungsriege seelisch-geistig bewältigt hat. Dabei standen die Zeichen für das Bekenntnis zur eigenen Vita nicht ungünstig. Ernst Cramer, in den Tagen des Studenten-Aufruhrs in Treue fest an der Seite Axel Springers und vom Abgang des Verlegers bis zu seinem eigenen Tod vor wenigen Wochen Graue Eminenz der Medienmacht an der Berliner Kochstraße, hatte eingeräumt, dass die Stahlhelm-Fraktion seines Hauses im Kampf gegen die Apo über die vertretbaren Ziele hinausgeschossen war. Die Erbin Friede Springer und ihr Vorstandsvorsitzender Mathias Döpfner hatten sich Cramer angeschlossen, und so hätte das Tribunal tatsächlich für einen interessanten Abend in Sachen Zeitgeschichte sorgen können. Dass die Überzeugungstäter beider Seiten voller Inbrunst ihre Irrtümer von 1968 bekennen würden, davon konnte in seinem Konvertiten-Eifer allerdings wohl nur Thomas Schmid träumen. Die Genossen von ehedem haben Proteus´ begabtem Schüler prompt die kalte Schulter gezeigt. Nun grollt er ihnen.
Bleibt mein Bericht im WELT-Feuilleton  vom September 68. In ihm steht, Hand aufs Herz, kein unwahres Wort. Aber unsereins soll bekanntlich nicht nur nicht die Unwahrheit sagen, sondern möglichst die ganze Wahrheit, und sie enthält der Kommentar nicht. Der Name Springer nämlich kommt nicht vor. Ich ziehe mich aus der Affaire,  indem ich mich in 160 Zeilen über Taktik und Strategie der Revoluzzer und der von ihnen geplagten Buchhändler und Verleger verbreite, über der einen Zorn und der anderen Leiden. Dass Herbert Kremp, damals Vorgänger Thomas Schmids als WELT-Chefredakteur, die Rotationsmaschinen wutschnaubend angehalten und meinen Text aus der Seite gerissen hätte, wenn ich ein Wort über Springer verloren hätte, wie ich die Dinge damals verstand, ist so gut wie sicher. Aber das ändert nichts. Die Esel haben das Gras weggefressen, und ich geniere mich für meinen Ausflug in die Sklavensprache.



[1] DIE WELT vom 24. 09. 1968, S. 11, www.medienarchiv68.de, Datensatz 4497

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