Es gibt kein Wort, das den Auftritt besser trifft, als Chuzpe (jiddisch: חוצפה, hebräisch: חצפה). Frechheit, Dreistigkeit, Unverschämtheit – alles schön und gut, den durchtriebenen Charme, der jedem Gesprächspartner die Antwort vermasselt, bevor er sie über die Lippen bringt, haben sie nun einmal nicht. Den hat nur Chuzpe, was nicht heißt, dass die so bezeichnete Fähigkeit ein jüdisches Gen zwingend voraussetzt und nicht auch eine in Hamburg geborene und im märkischen Templin aufgewachsene evangelische Pfarrerstochter sie vorzüglich beherrschen kann. Beweis: Angela Merkels Lob der Pressefreiheit gestern in Sanssouci. Zur Chuzpe wurde Merkels Laudatio auf den Karikaturisten Kurt Westergaard von Jyllands-Posten, auf den mit der Bombe in Mohammeds Turban, selbstredend nicht, weil sie die Pressefreiheit in den Himmel hob. Zur Chuzpe wurde die Rede, weil die Bundeskanzlerin eben noch kraft Amtes Thilo Sarrazin wegen gedanklicher Abweichung der Feme der politischen Klasse ausgeliefert hatte. Offensichtlich wollte sie die Kritik abwürgen, in die sie geraten war, und tatsächlich hat sie es geschafft. Sie hat sogar die ZDF-Moderatorin Marietta Slomka dermaßen verwirrt, dass die Meisterin der Nachfrage das Nachfragen vergaß und es einem Moslem-Offiziellen durchgehen ließ, Thilo Sarrazin frank und frei als Rassisten zu beschimpfen. Vor allem aber wurde der Auftritt der Kanzlerin dadurch zur Chuzpe, dass er sich ausgerechnet im Schloss Sanssouci ereignete – dort, wo der Alte Fritz und Voltaire im lustbetonten Geist der Aufklärung ihre Gedanken ausgetauscht hatten, bis der Philosoph dem königlichen Eifer in Sachen Gedankenfreiheit nicht mehr traute, er das Weite suchte und Friedrich ihm seine Büttel hinterherschickte – übrigens eine Einzelheit, die Bundespräsident Wulff nicht erwähnte, als er nach seinem Amtsantritt gestand, so einen wie Voltaire hätte er auch gern.
Donnerstag, 9. September 2010
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