Der Theatermann Friedrich Schirmer hat den Bettel hingeworfen. Binnen zwei Wochen will er den Intendantensessel im Hamburger Schauspielhaus räumen. Der Grund: Der Senat enthält ihm nicht nur versprochenes Geld vor, er soll auch noch im verabschiedetem Etat Ausgaben von angeblich 300.000 Euro einsparen. Wie es heißt, freut sich Reinhard Stuth, der eben ins Amt gelangte Kultursenator der Hansestadt, dass ihm Schirmer keine größeren Scherereien macht.
In den Archiven liegt irgendwo eine Glosse aus Vor-Google-Zeiten begraben, in welcher der Theaterkritiker jn vorschlägt, das Deutsche Schauspielhaus an der Hamburger Kirchenallee zu einer Badeanstalt umzubauen. Grund: ein fehlendes Tummel- und Trainingsbecken für Freizeitsprotten und künftige Schwimmweltmeister sowie die Unbespielbarkeit der größten deutschen Sprechbühne. Der Vorschlag stand in der Zeitung, als von der inzwischen errichteten Schwimmhalle an der Sechslingspforte, zwei Steinwürfe vom Schauspielhaus entfernt, noch niemand sprach. Insofern war er nicht völlig blödsinnig. Dass nichts aus ihm wurde, wunderte den Glossenschreiber trotzdem nicht. Im Rückblick gibt er zu, dass Hamburg einige Theaterereignisse entgangen wären, wenn die Hanseaten auf ihn gehört hätten, zum Beispiel die Erfolge in der Ära des Intendanten Ivan Nagel oder in jener seines Kollegen Peter Zadek.
Unbespielbar ist das Schauspielhaus wegen der Dimensionen von Bühnenhaus und Zuschauerraum trotzdem. Dass es immer noch bespielt wird, gehört zu den Unbegreiflichkeiten des Bühnenbetriebs; dass die Kulturbehörde stets und ständig mit den Intendanten ums liebe Geld zankte, war eins der unausweichlichen Ärgernisse. Ob jetzt der Rücktritt des Prinzipals Friedrich Schirmer als aufrüttelnde Tat Früchte trägt oder in der allgemeinen Misere verhallt, hängt naturgemäß am Verstand der Obrigkeit.
Tatsächlich gibt es unter den gegenwärtigen Sparzwängen wohl nur drei Möglichkeiten. Entweder der Laden wird dichtgemacht, oder der Betrieb hinkt unter neuer Leitung weiter fürbass, oder die Kunst macht aus der Not eine Tugend. Den Zuschauerraum zu verkleinern, wäre keine große Sache. Man müsste nur die Plätze verschwinden lassen, von denen aus die Bühne ohnehin nicht zu sehen ist. Auf der Bühne aber könnte sich die Chance eröffnen, ehrliches Theater zu spielen. Ehrliches Theater - das wäre armes Theater nach dem Vorbild des Teatr Laboratorium des polnischen Regisseurs Jerzy Grotowski, der den Urgrund der Schauspielkunst, eine Kunst ohne Schminke, Kostüme und Kulissen, wieder beleben wollte – nur spielen sollten seine Schauspieler, und das selbstverständlich gut.
Etwas Ähnliches hat es übrigens in den frühen fünfziger Jahren in Hamburg und anderenorts schon gegeben. Damals inszenierte der Theaterneuerer Heinrich Koch Stücke von Ibsen, Claudel, Calderon und Shakespeare auf seiner Koch-Platte, einer kreisrunden Scheibe ohne jede Dekoration. Es war gewöhnungsbedürftig, aber wer sich daran gewöhnt hatte, fand es spannender als den gewohnten Aufwand.
jn, 16.08.10
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