„Ich lebte in Deutschland, dem besten Land, das es gab, in Lichterfelde, dem besten Villenvorort seiner Hauptstadt, im besten Haus mit dem schönsten Garten weit und breit… Wenn ich mir das abends vor dem Schlafengehen vorsagte, war ich zufrieden mit der Welt und dem lieben Gott sehr dankbar.“ So steht es in den 2004 postum erschienenen Heimlichen Erinnerungen Julius Poseners. Der Schüler des großen Architekten Hans Poelzig riss sich beizeiten von Deutschland los, emigrierte erst nach London und dann nach Palästina und meldete sich 1941 freiwillig zur Royal Army, um gegen Hitler zu kämpfen. Nach dem Krieg unterrichtete er in London und in Kuala Lumpur Architekturgeschichte. 1961 erhielt er einem Ruf der Berliner Hochschule für Bildende Künste und kehrte an die Spree zurück. Julius Poseners Sohn Alan Posener, 1949 in London geboren, wurde Publizist.
Die Überzeugungen von Posener jr., der für die WELT arbeitet, sind nicht jedermanns Sache, aber sie entspringen Erfahrungen, die ernstgenommen werden wollen, und er hat den Kopf, sie zu verfechten, was auch dann gilt, wenn der zuerst und zuletzt politisch argumentierende Zeitungsmann im Feuilleton seines Blattes als Theaterkritiker gastiert und ein gequälter Intendant Zeter und Mordio schreit. Wie Bühnenkunst aussehen müsste, die ihm gefallen könnte, weiß Posener jedenfalls, und sie ist offenbar das Gegenteil von allem, was ein Regisseur namens Luk Perceval im Hamburger Thalia-Theater aus Shakespeares Hamlet gemacht hat.
Perceval nämlich teilt Hamlets Text unter zwei Darstellern auf, stülpt ihnen alberne Kronen aus Pappe oder Blech auf die Köpfe und lässt sie für diese und jene Szene sogar in ein Kostüm zusammennähen. Damit, so Posener, unterstellt Perceval dem Publikum, es sei zu beschränkt, die Gespaltenheit Hamlets zu erkennen, über die der Dänenprinz bekanntlich fortwährend rede. Und: „Ist das Blödsinn, so hat er doch Methode. Dem Zuschauer soll sich an keinem Punkt des Dramas eigene Gedanken machen. Er käme sonst darauf, dass er bei Percevals Psycho-Familienseifenoper um den Inhalt des Stückes betrogen wird.“
Von diesen Anwürfen könnte sich der Thalia-Prinzipal Joachim Lux wohl im Mark getroffen fühlen, und einen Offenen Brief aus seiner Feder über Sinn und Verstand im gegenwärtigen Theater würden wir, um Verständnis bemüht, zur Kenntnis nehmen. Stattdessen aber hat Lux einen Brief an die Chefredaktion der WELT geschrieben und mit gleicher Post ans Publikum adressiert, in dem er einen angeblichen politischen Subtext des WELT-Kritikers aufspießt und Posener vorwirft, „den strafrechtlichen Tatbestand der Volksverhetzung und der Verunglimpfung anderer Religionen“ zu erfüllen.
Denn: Posener habe in Wahrheit einen der beiden Bearbeiter im Visier gehabt, die dem Regisseur Perceval zu Willen gewesen sind und den Hamlet für die Thalia-Inszenierung filettiert und vorgekaut haben: den „türkischstämmigen“ Feridun Zaimoglu, einen Moslem, den der „durchgeknallte Kritiker“ – so die Quintessenz des Intendanten – als Islamisten entlarven wolle. Außerdem habe Posener mittels eines rhetorischen Kunstgriffs dazu aufgerufen, dass Thalia-Theater abzufackeln.
Hier ein rachedurstiger Zeitungsmann vom Stamme Davids, dort ein braver Gefolgsmann des Propheten Mohamed in Treue zur Weltliteratur? Joachim Lux überschätzt peinlich den eigenen Scharfsinn und bleibt schlüssige Beweise schuldig. Er gaukelt uns vor, sein Bühnenboden sei der Gaza-Streifen, und er fuchtelt selber mit der Brandfackel.
jn, 23. September 2010
jn, 23. September 2010
Also, lieber Jost Nolte, ich wollte die Sache mit dem Stamm Davids nicht bemühen. Wenn einem Journalisten aufgrund eines Verrisses unterstellt wird, er rufe zu einer neuen Kristallnacht auf, dann ist das nicht in erster Line eine Beleidigung und Verunglimpfung des Journalisten, er sei von welchem Stamm auch immer, sondern eine Trivialisierung und Banalisierung jenes Pogroms und damit eine Beleidigung und Verunglipmpfung der Opfer, zu denen ich mich ausdrücklich nicht zähle. Sie haben dennoch Recht. Denn während ich keinen Gedanken darauf verschwendet habe, welchen Glaubens oder Unglaubens Feridun Zaimoglu ist, unterstellt Lux in der Tat hier einen Kampf der Kulturen und trägt das Seine dazu bei, diesen Kampf herbeizuschreiben.
AntwortenLöschenIch meinerseits bin bereit, jenseits aller Vergleiche der elisabethanischen Zeit mit heutigen Zuständen in der arabischen Welt (die Parallelen sind offenkundig, wie die Unterschiede auch), sachlich mit allen Beteiligten über Sinn und Unsinn eines solchen Regietheaters zu diskutieren, wie es das Thalia-Theater mit diesem "Hamlet" vorführte, sobald jene Brandfackel, von der Sie schreiben, gelöscht wird durch eine Entschuldigung des Intendanten.
Ansonsten erlaube ich mir die Bemerkung, dass ich als Autor der Rowohlt-Monographie über William Shakespeare und diverser Artikel über Shakespeare und Hamlet in Fachjournalen (Theatre Quarterly, Sinn und Form, Literaturen) nicht bloß ein politischer Kommentator bin, der sich zufällig ins Theater verirrt hat.
Mit freundlichen Grüßen, Ihr A.P.
Alan Posener
Korrespondent für Politik und Gesellschaft
Die Welt / Welt am Sonntag