Freitag, 24. September 2010

Hamburg spart

Max Brauers Grab in Altona             foto: jn-archiv

Das haben nun die Altonaer davon, dass Ole von Beusts Amtsmüdigkeit Hamburg einen Heidelberger als Ersten Bürgermeister beschert hat:  Zwar ist die Ehefrau des landfremden Christoph Ahlhaus Lizenzmarketingleiterin und müsste von Berufs wegen das Ohr am Mund des Volkes haben. Zudem sieht sie verblüffend hamburgisch aus. Sollte sie sich jedoch an der Elbe besser auskennen als der Gatte, muss sie ihm verschwiegen haben, dass ungestraft niemand den Leuten hinter der Großen Freiheit den Rest ihrer Identität raubt – den ihnen nach Hitlers Eingemeindung Altonas in Hamburg anno 1937 verbliebenen Rest von Selbstbewusstsein, den bis dato das Altonaer Museum beherbergt und der nun den über die Hansestadt hereingebrochenen Sparzwängen  geopfert werden soll.
Davon, dass die Arbeit am Milliardengrab der Elbphilharmonie eingestellt werden oder wenigstens vorübergehend ruhen soll, hören wir hingegen nichts. Da liegt die Vermutung nahe, dass sich Ahlhaus sub specie aeternitatis etwas Abglanz vom Ruhmestempel sichern möchte, den sich sein Vorgänger so wagemutig errichten wollte. Max Brauer aber, Vorvorgänger von Beust und Ahlhaus, als letzter preußischer Oberbürgermeister von Altona 1933 von den Nazis aus dem Amt gejagt und 1945 zum ersten Nachkriegs-Präsidenten des Hamburger Senats bestellt, muss sich im Grabe umdrehen.  Brauer nämlich ließ sich nicht etwa auf Hamburg berühmtem Totenacker in Ohlsdorf die letzte Ruhestätte bereiten, sondern auf dem Altonaer Hauptfriedhof.
Der Rest des Hamburger Sparprogramms? Das Deutsche Schauspielhaus soll 1,2 Millionen Euro oder die Hälfte seines künstlerischern Etats sparen und der größten deutschen Bühne ist deswegen der Intendant abhanden gekommen?  Na wenn schon! Der verschwundene Herr Schirmer hat ohnehin mehr und mehr darauf verzichtet, sich ums Dramatische zu kümmern und stattdessen im Handbetrieb Spielvorlagen nach  eigenem Gusto zusammenschustern lassen, was den eigenen kreativen Ehrgeiz sowie den Bedarf auf Zubrot der Mitarbeiter befriedigt haben mag, aber dem Wohl von Kultur und Publikum nur begrenzt diente. Weit bedenklicher ist da, dass die Hamburgischen Bücherhallen auf fünf Millionen Euro verzichten oder sie selber einspielen sollen. Nach der Selbstentleibung des literarischen Theaters  nämlich waren die Stadtbibliotheken – neben dem Buchhandel und dem Literaturhaus mit seinen Gastauftritten von Literaten – die letzte Chance für Hanseaten herauszufinden, was Dichtung und Literatur eigentlich sein mögen, was ja seit Aischylos nicht die unwichtigste Aufgabe von Bühnen gewesen ist.
Ps.: Hamburg hat auch einen Kultursenator. Er heißt Reinhard Stuth, ist in der Hansestadt geboren, betätigt den Rotstift aber offenbar lieber im Verborgenen.
jn, 24. September 2010

1 Kommentar:

  1. lieber jn, well done. es ist ein skandal. und das altonaer museum ist genau in diesem stadtteil wesentlich für die leute, die man mit kultur von der straße wegholen möchte. sagen die politiker zumindest.
    ich erwähne nicht von ungefähr auch den schwarzen stein von sol le witt, in blickweite des museums, mit dem an die vertreibung und ermordung der juden erinnerr wird, die transporte begannen auf dem altonaer bahn hof. ich stieß darasuf, als ich über eva hesse schrieb.
    gruß mj

    michael jürgs
    mjuergs@aol.com

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