Eine Schlagzeile und ein erster Satz: Fliegt hier bald alles in die Luft? Und: Was ist eigentlich los in Stuttgart? Der Leser ergänzt: Nicht nur in Stuttgart, sondern ähnlich oder auch ein wenig anders in Hamburg, wo die für die Kulturpolitik verantwortlichen Politiker durchdrehen. Oder in Neukölln, wo die Jugendkriminalität die Richterin Kirsten Heisig zur Verzweiflung getrieben, aber weder ihr Versuch, die Dinge beim Namen zu nennen, noch ihr Freitod bis dato sichtbaren Wandel in Gang gesetzt hat. Oder was ist eigentlich los in den Köpfen Thilo Sarrazins, seiner Anhänger und seiner Gegner? Dies alles auf einmal und ziemlich verstreut in der Republik und eben auch in Stuttgart. Doch wenigstens dort können wir seit heute morgen etwas klarer sehen. Zum seltsamen Aufruhr um den Stuttgarter Bahnhof nämlich hat jetzt dankenswerter Weise der Verleger Michael Klett Auskünfte erteilt, die geeignet sind, uns beim Aufräumen unserer Vorteile zu helfen.
MICHAEL KLETT foto: Klett-Gruppe.de |
Michael Klett, Jahrgang 1938, Familienoberhaupt der Kletts, die seit 200 Jahren in Stuttgart leben, sowie Aufsichtsratsvorsitzender der Ernst Klett AG mit ihren bestens renommierten Verlagen Klett und Cotta, erinnert sich, wie ihm vor sechs Jahrzehnten sein Großvater, Jahrgang 1863, die Trümmerwelt erläuterte, die ihnen in jenen Nachkriegstagen vor Augen lag, und wie sich „der alte Herr mit Zwicker und Vatermörder im schwarzen langen Mantel, mit zerschlissenem Hut und seinem obligaten Tropfen an der Nase“ ereiferte, dass der famose Stuttgarter Bahnhof nie und nimmer hätte an dem Platz gebaut werden dürfen, an dem er von 1914 bis 1928 errichtet worden war. Der Bahnhof hätte vielmehr an den Neckar gehört, denn „damit hätte man der Talenge Raum für die Entwicklung der Stadt gegeben“, und die Stuttgarter hätten dem Projekt nicht einen wundervollen Park opfern müssen.
Die Verteidigung des Stuttgarter Bahnhofs ein Irrtum? Die Geschichte klingt nun plötzlich nach einem Schwabenstreich, vergleichbar jener Volksbuchszene, in der einem gewissen Veitel aus einem Fuchsloch ein Hase in den als Falle bereit gehaltenen Sack springt, Veitel den Sack zuschnürt, bevor er die zappelnden Beute identifiziert hat, und sie, in ihr ein Ungeheuer vermutend, nach Hause trägt, wo er sich anhören muss:
Potz Veitle! luag, luag, was ischt das?
Es Ohngeheuer ischt e Has.
Was eigentlich los sei? Der Jargon der Eigentlichkeit hat, wie wir von Theodor W. Adorno wissen, seine Abgründe. Aber es gibt ja auch noch Leopold von Rankes Forderung, zu erzählen, „wie es eigentlich gewesen“ sei. Sehen wir das Eigentliche so, dann geht es darum, den tatsächlichen Ereignissen so nahe wie möglich zu kommen. Für uns Journalisten und nicht nur für uns heißt dies, unverdrossen nach den Wurzeln zu graben. Und wer etwas von Bedeutung als erster ans Licht bringt, landet einen Scoop; so heißt es im Journalistenjargon. Laut PONS, dem Sprachportal des Klett Verlages, ist ein scoop eine Schaufel, eine Schippe, ein Schöpflöffel, ein Messlöffel oder Ähnliches. Die Schaufel oder den Löffel müssen wir so lange ansetzen, wie wir hoffen können, mit der Wahrheit voranzukommen. Den Rest müssen wir den Historikern überlassen.
Ihnen liefert jetzt wiederum ein Journalist Material. Auf seiner Website hat Gerhard E. Gründler unter dem Stichwort Kurzwaren historische Scoops zusammengestellt. Ein beneidenswerter, sehr lehrreicher Einfall, der sich vom Lukas-Evangelium („Es waren Hirten auf dem Felde“) bis zu den Techtelmechteln des VW-Personalvorstandes Peter Hartz mit dem VW-Betriebsrat erstreckt.
Dass auch eine Kindheitserinnerung zum Scoop heranwachsen kann, hat jetzt Michael Klett bewiesen.
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