Die Fachwelt scheint sich einig zu sein: Der Emeritus für Alte Geschichte an der TU Berlin Werner Dahlheim hat bis auf weiteres das maßgebliche Buch über Augustus geschrieben, über den „politischen Niemand“, der sich mit faszinierendem Machtinstinkt zum ersten römischen Kaiser über das von seinem Gönner Julius Caesar geschaffene Imperium erhob und dessen Weltreich komplettierte. Das Echo klingt zum Beispiel so: „Elaborierte Quellenkritik steht da neben süffigem Tratsch. Dahlheims Augustus nimmt radikal Partei für den Leser und setzt einen Standard, den die Geschichtswissenschaft zu lange vernachlässigt hat. Dabei ist Dahlheims Werk nicht einfach eine elegant formulierte Beschreibung eines Lebens. Ihn leitet ein geschichtsphilosophisches Motiv: Was machte den Usurpator und Massenmörder zum Friedensbringer und Heiland?“
Das Leben des Gaius Octavius, der sich dann Octavian nannte und den die Römer zum Augustus erkoren, also zum Erwählten oder Erhabenen, und den sie auch so anredeten, zerfällt in zwei Teile, in anderthalb Jahrzehnte vor dem Jahre 27 vor Christus, dem Jahr der formalen, in Wahrheit vorgetäuschten Rückgabe der Staatsgewalt an Senat und Volk aus der Hand des Siegers im Bürgerkrieg, und in nahezu viereinhalb Dezennien danach: Vor dem Jahr der Entscheidung verlieren Zehntausende von Römern im Kampf der Mächtigen um die Macht ihr Leben, noch mehr Menschen stürzen in Armut und Elend, und politischer Massenmord dezimiert die Eliten Roms. Nach seinem Sieg tut Augustus alles, seine Schwüre auf Wohlstand und Frieden einzulösen. Er verlegt den Krieg in Territorien jenseits der Grenzen des Imperiums und lässt sich von Millionen römischer Bürger, die er en passant entmündigt hat, als Friedensherrscher feiern.
Die Geschichte ist gründlich erforscht; erstaunlich bleibt trotzdem bis heute, wie es Augustus gelingen konnte, alle Mitbewerber um die Macht zu übertrumpfen und den Senat dazu zu bewegen, sein Spiel zu akzeptieren, das Spiel nach dem unausgesprochenen Motto: Ihr sagt, dass ihr Rom regiert, lasst es aber bleiben, während ich behaupte, nicht zu herrschen, aber tatsächlich in Machtvollkommenheit die Regierungsgeschäfte leite und lenke. Die Geschichtsschreiber zerbrechen sich darüber seit Tacitus und Sueton den Kopf. Dahlheim reiht sich gut gelaunt bei ihnen ein.
Den entscheidenden Fehler begingen Caesars Mörder unmittelbar nach der Tat. Sie warfen ihr Opfer nicht in den Tiber, wie es nach dem Gesetz mit abgestraften Feinden des Vaterlandes zu geschehen hatte, sondern ließen es zu, dass das Volk dem Mann, der das Staatsverbrechen begangen hatte, nach absoluter Macht zu greifen, auf dem Marsfeld einen Scheiterhaufen mit überbordenden Totengaben errichtete und seine Seele mit dem Rauch des Feuers auf die Reise zu den Göttern schickte. Den Rest besorgte Caesars Mitkonsul Antonius, als er daran erinnerte, dass alle Wohltaten entweder zu bestätigen und einzulösen oder offiziell zu annullieren seien, mit denen der Diktator seine Anhänger beglückt hatte. Diese Anhänger waren nicht nur Senatoren, die Caesar ins Amt gerufen, sondern auch Soldaten, denen er als Altersversorgung Land versprochen hatte. Weder die Senatoren noch die Soldaten, die unter ihren Feldzeichen in der Stadt bedrohlich Quartier gemacht hatten, hatten Lust, Ämter oder Ansprüche zu verlieren, und sie sorgten dafür, dass die Entscheidung zu ihren Gunsten ausfiel. Das hieß: Die Verschwörer hatten Caesar getötet, aber der tote Caesar siegte über die Verschwörer.
Noch im Glauben, der Republik, für die er lebte, winke die Wiederkunft, brachte Cicero, der Lehrmeister der Republik, die Dinge auf den Punkt: Fürs Weitere – das hieß: solange offen war, wem die Macht am Ende zufiel – war es das Klügste, sich darauf einzurichten, dass Geld und Soldaten den Ausschlag gaben. So kam es tatsächlich. Julius Caesars Legionen traten in hinreichender Zahl in den Dienst seines Erben, und Gelder flossen Augustus ebenfalls genug zu. So bekam er die Chance zu beweisen, dass er imstande war, über die Leichen seiner Widersacher hinwegzuschreiten und anschließend den Ruhm als Wohltäter der Menschheit einzuheimsen – jedenfalls jenes Teils der Menschheit, der römisch war. Wie Werner Dahlheim diese Geschichte erzählt, eignet sie sich zum unbeschwerten Genuss, aber niemand sollte sich gehindert sehen, sie als Lehrbuch für den Umgang mit der Macht zu studieren.
Eine Zutat bleibt allerdings gewöhnungsbedürftig. Einschließlich der Kriege, in die Augustus bis in seine letzten Jahre die römischen Legionen schickte, schiebt Werner Dahlheim die gewalttätige Machtpraxis seines Helden mehr und mehr beiseite. Sodann vertieft er sich so lange in den Gedanken an den Friedensstifter Augustus, bis er ihm der Wegbereiter des Jesus von Nazaret und des Christenglaubens vor Augen steht. Doch dabei vernachlässigt der Biograf einiges allzu großzügig.
Werner Dahlheim: Augustus 448 S., 26,95 €, Beck, München 2010 |
Ein Wanderprediger in abgelegener Provinz eines Weltreichs gibt sich als Sohn Gottes aus und überzeugt mit seinem bescheidenen Lebenswandel, mit seinem qualvollen Tod am Kreuz und mit seinen überaus friedfertigen Lehren nebst einigen mehr oder weniger verbürgten Wundern die Menschen. Unterdessen restauriert der Inhaber staatlicher Allgewalt in Rom die Tempel des Römerreichs, aber es handelt sich um die Gemäuer der alten Götter, und dass Augustus mehr im Sinn hat, als die eigene Herrschaft mit Hilfe religiöser Riten abzusichern, darf bezweifelt werden (siehe: Robert M. Ogilvie, ...und bauten die Tempel wieder auf – Die Römer und ihre Götter im Zeitalter des Augustus, dtv, München 1982).
Nicht weniger fallen die Haltungen und die Absichten der beiden Akteure der Weltgeschichte ins Gewicht. Jesus aus Nazaret lässt keinen Zweifel daran, in wessen Auftrag und mit welchem Ziel er in Galiläa und Judäa unterwegs ist, und er sagt kein Wort, von dem er nicht in tiefster Seele überzeugt ist. Augustus hingegen spielt um die Gewalt über die Seelen seiner Untertanen, indem er zu seinen Lebzeiten seine Erhebung in die Gesellschaft der Götter verhindert, aber trickreich dafür sorgt, dass sie ihm prompt widerfährt, nachdem er seinen letzten Atem ausgehaucht hat. (Den Schwur eines Senators, er habe gesehen, wie ein Adler vom kaiserlichen Scheiterhaufen zum Himmel aufgestiegen sei, womit die Sache als ausgemacht gelten sollte, belohnt die Kaiserinwitwe Livia mit der Kleinigkeit von einer Million Sesterzen.)
Die Divergenzen könnten kaum größer sein. Entscheidend aber ist die simple Tatsache, dass sich eine unbezwingliche Sehnsucht römischer Untertanen, an einen Retter glauben zu dürfen, mühelos ohne Theologie erklären lässt. Wie wenn die Römer einfach das Leiden an der Politik satt hatten und deswegen auf den Machtmenschen setzten, dem sie am ehesten zutrauten, sie vor Not und Tod zu bewahren?
Bei allem Respekt vor der Gelehrsamkeit und der Originalität Dahlheims, in seiner Lehre von den zwei Heilanden passt zu viel nicht zusammen.
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