Zwei Politiker ziehen in Büchern auf unterschiedliche Weise Bilanz. Den zurückgetretenen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) juckt es, die höheren Zusammenhänge öffentlichen Lebens erörtern; den abgewählten Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) treibt die Frage um, welche praktischen Schlüsse seine Erfahrungen in politischen Ämtern gestatten.ROLAND KOCH GREIFT IN DEN HIMMEL
Der Titel könnte nicht schlichter sein: Konservativ. Auf dem Umschlag lächelt der Autor Roland Koch, nicht verschlagen, wie uns seine Miene nicht selten begegnet ist, sondern freundschaftlich, kein Wässerchen trübend. Ein wackerer Wahlspruch ist gleich daneben zu lesen: „Ohne Werte und Prinzipien ist kein Staat zu machen!“ Zu beachten: das Ausrufezeichen. Im Buch erklärt uns Roland Koch dann eher behutsam, was nach seinen Begriffen das Konservative sei, seit wir die Konservativen anders als in den Tagen Ernst Jüngers und Franz von Papens nicht mehr auf den ersten Blick erkennen, also seit den Dreißigern, nachdem die Nazis die Arbeit der Linken besorgt und die deutsche Gesellschaft nachhaltig eingeebnet haben: Prinz Auwi von Preußen und der letzte Arbeiter der Faust als SA-Leute in Reih und Glied, ein Volk, ein Reich, ein Führer undsoweiter. Konservativ soll etwas anderes sein.
Roland Koch, Konservativ Herder, 220. S., 17,95 € |
Der hessische Ministerpräsidenten a.D. rühmt sich nicht übermäßig seiner Politik, er erläutert seine Überzeugungen. Konservative unterscheiden sich von den Schreihälsen am rechten Rand; Koch wäre es ganz recht, wenn sich rechts neben ihm nur noch die Wand befände. Dass er als konservativ reklamiert, was auch andere für nützlich oder gar notwendig halten, Prinzipien und Werte zum Beispiel, wenn auch etwas andere, muss er nicht unterstreichen. Seine Anhänger und seine Leser wissen, was er meint.
Unredlich ist das nicht, nur großzügig. Koch geht Peinlichkeiten aus dem Wege, indem er mit Schwüren haushält. Im letzten Kapitel allerdings blüht die Bekenntnisfreude dann doch auf: Das Element oder jedenfalls die Voraussetzung konservativer Politik sei die Religion. Ein Staat, der sich nicht auf Gottes Willen berufe, lebe von Voraussetzungen, die er selber nicht garantieren könne (S.198). Der Verfassungsrichter Böckenförde hat es schon vor mehr als drei Jahrzehnten gesagt, aber Roland Koch pocht darauf: Das Gemeinwesen brauche „einen festen transzendenten Bezugsrahmen“ und solle gefälligst auf den Glauben als „befreiende Kraft“ setzen. Dass nicht nur Johannes Paul II. und der Dalai Lama mit ihrem Glauben Politik gemacht haben und machen, sondern auch Osama bin Ladin und andere Glaubenskämpfer einen Glaubenskrieg führen, bleibt ein blinder Fleck. Roland Kochs eigene Überzeugungstäterschaft bringt es so mit sich.
PEER STEINBRÜCK IN BETRACHTUNG DER BODENSTATION
„Sisyphos war ein glücklicher Mensch?“, fragt Peer Steinbrück auf Seite 284 und verliert die wahrhaft tragische Figur, die Albert Camus, der Philosoph des Absurden und der Revolte, auf den Schild gehoben hat, scheinbar gleich wieder aus den Augen. In Wahrheit handelt sein Buch mit dem Titel Unterm Strich von der ersten bis zur letzten Zeile von dem Mann, der immer aufs Neue den Felsbrocken einen Steilhang hinaufrollen muss und ihn, angestoßen von boshafter Götterhand, jedes Mal kurz vor dem Gipfel wieder aus den Händen verliert. Peer Steinbrück, zu Anfang der Krise, in der wir stecken, einer Hauptakteure der politischen Szene und seit der SPD-Wahlniederlage vom Oktober 2009 schmerzlich vermisst, kommt uns noch immer mit scharf geschliffenem Urteil, und wer nicht vor der Unzahl und der Vielgestalt der Steinbrückschen Argumente kapitulieren will, braucht gute Nerven. Den Zug ins Schnoddrige hat sich der Mann nicht abgewöhnt? Wen stört es? Die Unverschämtheit hält munter.
Was Steinbrück den Spitzenkräften der Wirtschaftsmacht ins Stammbuch schreibt, ist nicht von schlechten Eltern: Die Politik hat Gestaltungskraft eingebüßt, ihren Primat hat die Ökonomie mit ihrer eigenen Façon abgelöst. Wie die Angehörigen der Unterschicht neigen nicht wenige Leute in Chefetagen dazu, eine Parallelgesellschaft zu bilden, und dummer Weise haben sie die Mittel, sich durchzusetzen. Die Schnittmuster der sozialen Marktwirtschaft respektieren sie nur, solange sie den eigenen Zwecken dienen, und das ganze mündet in einen Siegeszug des entfesselten Kapitalismus, der sich nur noch selber zu Fall bringen kann, woraufhin prompt der Ruf nach dem rettenden Staat ertönt. So ungefähr.
Peer Steinbrück, Unterm Strich HoCa, 480 S., 23,00 € |
Die Schattenseite ist die Ohnmacht der Politik. Europas Stier lahmt. Der Verzicht auf souveräne Rechte der Staaten, denen es nicht einmal gelingt, in den Grenzen der Union die Steuern zu harmonisieren, lässt von der raison d´être der Eurozone kaum mehr übrig als die Usancen einer Transfergemeinschaft, und der personelle Faktor kümmert dahin. Überzeugende Mitwirkende werden in der Politik von Wahl zu Wahl rarer. Und bei alledem fressen die Schulden den Kassenwarten des Sozialstaats die Kassen leer.
Selbstredend hören sich Peer Steinbrücks Beweise intelligenter an, als sie hier rekapituliert werden können. Sie auf die Reihe zu bringen, erfordert reelle Anstrengung, und die Empfehlungen, wie Fehlentwicklungen korrigiert werden könnten, wollen genau durchdacht sein. Da aber Steinbrück erstens den Durchblick nicht verloren hat – was ihm dazumal die Referenten auf den Tisch gelegt haben, findet er heute mit sicherem Instinkt in den Zeitungen, und weil er zweitens über das erforderliche Temperament verfügt und nicht locker lässt, ist die Ausbeute an Bedenkenswertem hoch. Es geht ihm um nicht mehr und nicht weniger als darum, die Grundgewissheit aufleben zu lassen, „dass Interessengesegensätze und Rivalitäten ohne Zerreißproben für die Gesellschaft aufgefangen und weiterhin in die Bahnen einer geregelten Konfliktlösung gelenkt werden können“ (S. 278 f).
Gegen Ende stellt Steinbrück drei Politiker auf die Waage: Karl-Theodor zu Guttenberg, von dem abzuwarten bleibt, wie weit er es bringt („eine Lichtgestalt, die Parkettsicherheit, gesellschaftlichen Hintergrund und ein telegenes Gesicht mit einem intelligenten Kopf, verständlicher Diktion und normwidrigem Verhalten kombiniert“), Helmut Schmidt, der „mit seiner Leidenschaft für Vernunft, seinem Pragmatismus zu sittlichen Zwecken und seiner Maxime Salus publica suprema lex (das öffentliche Wohl ist das höchste Gesetz)“ den Mitmenschen imponiert, und – einen gewissen Horst Schlämmer.
Falls er schon in Vergessenheit geraten sein sollte: Horst Schlämmer war das Geschöpf des Komikers Hape Kerkeling. Im Sommer 2009 tauchte er aus dem Nichts auf, und wenn sich nicht schließlich herumgesprochen hätte, dass er doch nur ein Spaßvogel sei, hätte er dank seiner Behauptung „Wat die nich können, dat kann ich auch“ durchaus die Chance gehabt, ins Parlament einzuziehen. Rückschlüsse auf das politische Personal drängen sich auf.
Im übrigen täten Steinbrücks Parteifreunde gut daran, sich seine Ermahnungen mit gewaschenen Ohren anzuhören: Die Forderung nach Parteiverträglichkeit der Ansichten von SPD-Mitgliedern etwa, ob sie nun Wolfgang Clement, Theo Sarrazin oder Heinz Buschkowsky heißen, hat in der SPD Tradition. Doch seit sämtliche Ideologien an Auszehrung leiden, überzeugen Sprachregelungen noch weniger als jemals zuvor. Der Hinweis, dass Querköpfe nach der Maxime Im Zweifel für die Freiheit ein Recht auf ihre Ansichten haben, sollte sich auch unter Sozialdemokraten herumsprechen.
Eine Lehre aus zweifacher Rechenschaftslegung? Politiker und Parteien, die einen wie die anderen, tun gut daran, den Mund nicht zu voll zu nehmen und sich weder als sogenannte Wertegemeinschaften noch als vorgebliche Glaubenskongregationen zu überheben. Es gilt, die politische Kärrnerarbeit zu erledigen. Der geistige Überbau mag etwas Feines sein, aber für ihn ist nach Feierabend auch noch Zeit.
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