Samstag, 12. Februar 2011

Zeigt her eure Schuh


Frühstückslektüre am 12. Februar 2011 
                                                                                © jn-foto
Vergesst nicht, die Schuhe zu putzen. Es könnte sein, dass ihr sie unterwegs jemandem an den Kopf werfen wollt. Aber wenn ich´s genauer bedenke: Wahrscheinlich gehört der Dreck, der an ihren Wurfgeschossen klebt, unverzichtbar zum Brauch muslimischer Revolutionäre.

VHH: Bus - aus Altersgründen

Hinten im Bild, vorne im Bus: Bücher 
                                                                       © jn-foto

Der Mensch lässt sein letztes Auto abwracken, stellt sein Fahrrad in die  Ecke und erlebt fortan seine Artgenossen in Bus und Bahn. Aus Altersgründen. Der Gesamteindruck ist, ehrlich gestanden, nicht schlecht. Die Passagiere sind durchweg hilfsbereit und kommen selbst im Gedränge miteinander klar. Nur die Ausdünstung ungewaschener Zeitgenossen ist wirklich lästig. Die Fahrer sind ein Kapitel für sich; über sie ein anderes Mal.
In der Natur von Bussen scheint zu liegen, dass sie entweder zu spät oder zu früh kommen. Bei unerquicklichem Wetter tun wir gut daran, uns entsprechend anzuziehen; bei Sonnenschein lassen sich Verspätungen sogar genießen.
Verblüfft war ich über einen Bus mit Bücherbord zwischen der ersten und der zweiten Reihe hinter dem Fahrer. Die Paperbacks, die auf das Interesse der Passagiere warten, hat jemand der VHH (Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein AG) im HVV (Hamburger Verkehrsverbund GmbH) gestiftet. Vielleicht war es ein heimlicher Literat, der hinter dem Buchstabenspiel der Verkehrsexperten Gleichgesinnte vermutete. Ihm sei gedankt. Dass jemand nach der Literatur gegriffen hat, habe ich allerdings bisher nur zweimal beobachtet, wobei statistisch zu berücksichtigen ist, dass ich zumeist nur kurze Strecken fahre.
(Wird fortgesetzt.)

Lesenswert

Anika Kreller und Annika Einsle heute in news.de:

Nazis in Dresden        foto: news-de

Weg frei für Nazis?

Im vergangenen Jahr verhinderten tausende Demonstranten den Neonazi-Aufmarsch zum 13. Februar. Dieses Jahr ist ein ähnlicher Erfolg noch ungewiss. Die Stadt Dresden tut sich schwer im Umgang mit den Rechten...

Weiter im Text: news.de/politik/855125946/weg-frei-fuer-nazis/1

Freitag, 11. Februar 2011

Richter und Richteroiden aller Wege

Beuys: Stuhl, Klorolle, Kronleuchter, Betrachter

Der Kurator Uwe M. Schneede hat einen bestechenden Durchblick. Keine Beziehung eines Künstlers zu welchem anderem Künstler auch immer entgeht ihm. Zum Beispiel hängt er den Richterschen Küchenstuhl neben die Richtersche Klorolle und die wiederum neben die Richtersche Flämische Krone, die in Wahrheit einen  Kronleuchter darstellt, und wenn ich die beigefügten Texte richtig im Kopf habe, denkt Schneede bei Richters Möbel an Joseph Beuys und dessen Stuhl mit Fett (1963), bei Richters Klorolle aber an Marcel Duchamp und dessen mit  dem Namen R. Mutt signiertes Urinal aus dem Sanitärhandel, dem der Erfinder des Objet trouvé den wundervoll-berühmten Titel Fontain verlieh (1917). Und die Krone? Sie tut, was Kronen tun – sie krönt das Arrangement  der drei Richter-Gemälde aus dem Jahr 1965 in der ihnen gemeinsamen grauen Unschärfe. Das passt tatsächlich zusammen, die Hinweise sind geistreich und lehrreich, und beides gilt für die ganze Ausstellung Gerhard Richter – Bilder einer Epoche,  die seit zwölf Tagen neben dem Hamburger Rathaus im Bucerius Kunstforum zu sehen ist und anscheinend schon den verdienten Zulauf hat.
Seit gestern nun machen Hubertus Gaßner, Schneedes Nachfolger auf dem Sessel des Direktors der Hamburger Kunsthalle, und der Mitkurator Daniel Koep dem Bucerius-Forum im Hubertus-Wald-Forum mit ihrer Ausstellung Unscharf – Nach Gerhard Richter Konkurrenz. Daran, dass es jeweils doppelt hubertust und forumst, ist niemand schuld; so heißen die Leute und die Einrichtungen eben, und das kluge Publikum wird dorthin finden, wohin es will. Ob es andererseits um Konkurrenz geht oder um Zusammenwirken, wie Gaßner es wohl lieber verstanden sähe, mögen die Herrschaften unter sich ausmachen.  Entscheidend ist: Bei Schneede handelt es sich um fünfzig Richters, bei Gaßner und Koep um schätzungsweise zwanzig beachtliche Werke des Künstlers, und unter dem Dach der Galerie der Gegenwart hängt in einer dritten Inszenierung namens Übermalt Verwischt Ausgelöscht zwischen anderen pflichtschuldigst ebenfalls Richter. Zuviel Richter aber ist dies keinesfalls. Wir haben unser Vergnügen an ihm.
Es steigert sich noch, wenn Gaßner und Koep wie in der Pressekonferenz zur Eröffnung der Ausstellung durch die Räume führen. Gaßner ist ein Assoziationsartist von Gnaden, Koep ist ein sorgsamer Betrachter,  dabei entdeckungsfreudig und begeisterungsfähig. Aber was heißt Unschärfe oder gar neue Unschärfe?  Ein Schlüssel dazu findet sich im ausgezeichneten Katalog (bei Hatje Cantz, im Museumsshop zum Spottpreis von 29 €, im Buchhandel für 35 €).
Was sage ich Schlüssel? Ein ganzes Schlüsselbund.
Journalistin oder Journalist beim Preview unscharf
                                                                                         jn-fotos (2)
Eins der Zutrittswerkzeuge: „Der Impressionismus und der Piktorialismus in der Kunstfotografie reklamierten ihre künstlerische Autonomie gegenüber der überdeutlichen und überscharfen Fotografie nicht allein durch Farbe, sondern auch durch die Betonung der manuellen Herstellung der Bilder, etwa durch komplette oder partielle Unschärfe und Weichzeichnung, durch Verwischung, skizzenhafte Ausführung, Hervorhebung der Malfaktur und der haptischen Textur der materiellen Oberfläche des Bildes.“ (Gaßner, S.9) Anfang der 60-er Jahre des letzten Jahrhunderts, so heißt es weiter, seien Konkurrenz und Kooperation zwischen Malerei und Fotografie zu neuer Form aufgelaufen, weil die Bilder in Magazinen. im Fernsehen und in der Werbung sich auf die alltägliche Wahrnehmung auswirkten und das Realitätsbewusstsein prägten. Und zu Richters Malerei seit 1963 und den Folgen: „Das Prinzip der Unschärfe zieht sich seitdem  als Konstante durch sein (Richters) gesamtes Werk, gleichgültig, ob es sich um gegenständliche Gemälde, Druckgrafiken, Fotografien oder einen Film handelt, die Richter nachfolgende Generation von Malern und Fotografen, die eine dritte Etappe des medialen Austauschs einleitet, ist keineswegs bei der Wiederholung seiner Intention und seiner Verfahren bei der Produktion unscharfen Bildern stehen geblieben, sondern hat weitere, ganz unterschiedliche Möglichkeiten der Erzeugung von Unschärfe entwickelt.“ ( S.10)
Künstlerin im Spiegel
                                        Unscharf-Kartlog
Dies also wollen Gaßner und Koep beweisen, und sie beweisen es schlagend. Die Schwierigkeit, Malerei und Fotografie in Wörter zu übersetzen, erwischt selbstverständlich auch sie, sobald sie vom Handwerklichen ablassen und auf geistige Hintergründe zu sprechen kommen. Zum Trost: Es fällt der Kunst nicht leichter, ihren Interpreten auf die Sprünge zu helfen. In einen Winkel der Ausstellung hat die Künstlerin  Johanna Smiatek aus Hannover, Jahrgang 1967, einen Spiegel in klobigem Rahmen gestellt. Ihr Material: Holz, Spiegel, Motor, Bewegungsmelder. Der Bewegungsmelder sorgt für Überraschung.
Der Spiegel nämlich beginnt zu zittern, wenn sich ihm jemand nähert, und also blickt der Betrachter aus der Entfernung auf sein klares Konterfei, während es unscharf wird, sobald ihn der Melder erfasst. In der Pressekonferenz zur Eröffnung spielte Hubertus Gaßner prompt auf die Eigenart der Begegnung mit der Kunst an. Vis a vis mit ihr gehe es ganz ähnlich zu. Die Künstlerin stand lächelnd am Rande, und ihr Lächeln sagte, es sei immer interessant, einen intelligenten Menschen reden zu hören.
Im Katalog springt den Kuratoren der Philosoph und Germanist Bernd Hüppauf (Washington und New York) bei. Er greift auf Ludwig Wittgenstein zurück (S.78). Genau so gut hätte er Jean-Paul Sartre bemühen können. Denn: Unscharf stellt sich das Terrain dar, das zwischen Sein und Nichts liegt, und es fordert jeden heraus, der sich dort bewegt. Zu befürchten ist allerdings, dass nicht nur das Nichts, sondern auch das Sein aller Klarheit entbehrt, von der einst Descartes träumte, und dass Hopfen und Malz ohnehin verloren sind. Summa summarum: Die Ausstellung Unscharf – Nach Gerhard Richter ist eine Herausforderung. So gut wie jedes Werk drängt auf Antworten. Das heißt: Das Ganze regt an und macht Spaß.
Ps.: Das Angebot mit Übermaltem, Verwischtem und Ausgelöschtem von Francis Bacon bis Wols in der Galerie der Gegenwart spricht vom Zweifel der Kunst an der Kunst und wirkt vergleichsweise zusammengeklaubt. Sehenswert ist es dennoch. Nur ein Kopf-über-Bild von Georg Baselitz verwirrt ungehörig. Der Künstler hat offenbar vergessen, es zu übermalen, denn gemalt hat er das Werk, wie er alle Werke malt, wobei Übermalung ihnen sämtlich nur gut tun könnte.
jn, 11. Februar 2011

Mittwoch, 9. Februar 2011

Pommersche Welten - unterschiedlich

                                    Fährmann in Stolpe: Herr Hahn             jn-foto

Man scheue sich nicht, Herrn Hahn zu fragen. Herr Hahn, Kapitän und Bootsmann zugleich, bringt mit seiner Fähre bei Stolpe im hintersten Vorderpommern Zugereiste über die Peene. Die Fähre durchquert den pommerschen Amazonas, weil Herr Hahn sie an einem Stahlseil durch den Strom kurbelt. Diese Schifffahrtstechnik ist bekanntlich etwas angejahrt, weswegen unsereins sofort vermutet, die Geschichte sei hierorts nie richtig in Gang gekommen. Das aber ist ein Irrtum. In Stolpe gibt es nicht nur beeindruckende Natur, sondern sehr wohl auch eine ansehnliche Historie.
Die ältere Ortsgeschichte beginnt in Stolpe anno 1136 mit dem Mord an dem zum Christentum übergelaufenen Pommern-Herzog Wartislaw I. Umgebracht hat den Greiffenfürsten ein wendischer Heide, wodurch das hochgeborene Opfer zum Märtyrer aufstieg. Wartislaws Söhne bauten ihm zu Ehren eine Kirche, und ein Bruder namens Ratibor stiftete ein Benediktiner-Kloster, von dem heute noch einige grobe Mauern stehen, obwohl 1637, im 19. Jahr des Dreißigjährigen Krieges, die Kaiserlichen über die Peene setzten, das Kloster brandschatzten und die Mönche maltraitierten. Später geriet Stolpe unter die Preußen, was sich weniger aufregend gestaltete, und der Franzosentid-Reuter weilte dort gern. Schließlich kam das Gut an einen Bülow. Die letzten Nachfahren dieses Namens auf Stolpe schlitterten in den Zwanzigern des letzten Jahrhunderts in finanzielle Schwierigkeiten, was in jener Zeit Gutsherrenart war. In Stolpe aber stellte sich ein Retter aus Hamburg ein. Ein Herr Stürken, Kaufmann seines Zeichens und bei Vermögen. Er heiratete eine flügge Bülowtochter und brachte das Gut wieder in Schuss.
Gutshaus Stolpe
                Foto: Eigentümer
Fürs Weitere ist Herr Hahn zuständig: Wie im Frühjahr 1945 die Russen kamen, wie sie wieder verschwanden, was sich inzwischen abgespielt hatte, und wie erneut ein Stürken aus Hamburg auftauche, Grund und Boden und Gutshof in den Familienbesitz zurückbrachte, und das Anwesen abermals rettete, indem er ein französisch klingendes Relais & Chateaux schuf, dies aber möglichst nach britischer Art. Und so erhielt auch Herr Hahn sein Auskommen als Fährmann, weswegen es höchst unwahrscheinlich ist, dass er insgeheim denkt, wie viel zuviele Leute in Bargischow denken.
Was zuviele Leute 17 Kilometer östlich von Dorf und Gut Stolpe in Bargischow denken, ist nämlich ein Graus. Ich zitiere die Autoren Astrid Geister und Christoph Schultheis und ihr in seiner Nüchternheit knallhartes Buch Heile Welten – Rechter Alltag in Deutschland (Hanser Verlag, München 2011): „Einen Namen hat sich die 380-Einwohner-Gemeinde in den vergangenen Jahren nur bei Verfassungsschützern und Politologen gemacht. Bargischow gehört zu jenen Orten im Nordosten, wo die NDP die besten Ergebnisse ihrer Parteigeschichte erzielte: 31,6 Prozent der Stimmen holte sie bei den Landtagswahlen 2006 – mehr als irgendeine andere Partei... Bei der Kreistagswahl 2009 kam sie auf 21,4 Prozent. Und kein Kreistagskandidat bekam in Bargischow mehr Stimmen als der Anklamer NPD-Politiker Michael Andrejewski. Freies Pionierland mit idealen Standortfaktoren sei diese Gegend, schwärmte der NPD-Mann schon vor Jahren. In kaum einer Region gebe es eine geringere Systembindung, wenige seien so heruntergewirtschaftet: ,Hier ist der Abgrund schon da, wir geben ihm nur einen Namen.´“
Hanser Verlag, München
224 S., 15,90 €
Von Bad Godesberg am Rhein bis Strehla an der Elbe orten Geisler und Schultheis braune Nester. Das in Bargischow gehört zu den übelsten. Gründe  für den Unterschied zu den Leuten in Stolpe? Der offensichtliche: In Stolpe blüht die Landschaft, in Bargischow ist sie auf den Hund gekommen. Aber der Wohlstand von Stolpe ist nicht vom Himmel gefallen. Jemand hat Mut gehabt. Abgesehen davon, ist in Bargischow Gegenwehr überfällig. Es gilt, die Anführer des Mobs als das bloßzustellen, was sie sind – als Maulhelden, die vom Elend ihrer Gefolgschaft zehren.
Und: Der Abgrund gähnt in den Seelen von Mitmenschen. Er erfordert dringlicher Abhilfe als die Frostschäden in der Dorfstraße.
jn, 9. Februar 2011 

Montag, 7. Februar 2011

Lichtblicke

Dompfaff
                                  Abb.: Brehms Tierleben von 1891

Die Dompfaffen, auch Gimpel genannt, sind da und melden den Vorfrühling an. Auf der Durchreise. Aber vielleicht kehren sie noch um. Der Kritiker Gerhard Stadelmaier hat sich endlich einmal wieder im Theater amüsiert. Allerdings ziemlich weit weg. Im Wiener Akademietheater (Hamburg-Wien: 983 km). In dreizehn Tagen scheitert der Hamburger Senat an seiner verheerenden Kulturpolitik. Was danach kommt, wissen wir nicht so genau.

Sonntag, 6. Februar 2011

Wiedereröffnung

Baumarktangebot: Nofretete als Tapete
(484 x 728 cm)        
                             foto: vip-tapete
Fluch  nicht auf das Wetter. Fluchen hilft nichts, du ärgerst dich nur noch mehr über deine Triefnase und deine nassen Füße... Der väterliche Rat, unverkennbar norddeutsch, hat auch noch nach mehr als sieben Jahrzehnten Hand und Fuß. Also gut, der Himmel ist grau, und es regnet. Wie es mir vorkommt, seit Monaten. Der Regen tropft sogar durch die Decke des Arbeitszimmers. Aber ich fluche nicht, und eröffne den Unbilden zum Trotz wieder die Produktion der Randbemerkungen, die Mitte Dezember dem Winterschlaf zum Opfer gefallen sind. Wiedereröffnung mit einem Zitat, so schön, dass es zitiert werden muss: „Als Ludwig Borchardt am 6. Dezember 1912 die Büste der Nofretete aus dem Wüstensand zog, bahnte sich in Europa gerade ein fundamentaler Wandel des weiblichen Schönheitsideals an. Statt Rundlichkeit begann man Schlankheit zu bevorzugen, statt Grübchen, Stupsnase und Kussmündchen ebenmäßige Gesichtszüge, straffe Nasenrücken und konturierte Lippen. Auf den Bühnen von London, Paris New York und Berlin triumphierte Oscar Wildes Salomé, gespielt vom neuen Typs der nervösen Schauspielerin. In der Malerei wurden Gustav Klimts Frauen dünner und sphinxhafter, und Egon Schiele malte seine ersten mageren Lulus.“ Triumph des Feuilletons über dass Wetter (Dieter Bartetztko in der FAS vom 6. Februar 2011, S. 8, leider noch nicht im Netz). Nachfrage: Sind die Sonne und der Wüstensand in Ägypten noch, was sie einmal waren? – Bis demnächst jn