Mittwoch, 9. Februar 2011

Pommersche Welten - unterschiedlich

                                    Fährmann in Stolpe: Herr Hahn             jn-foto

Man scheue sich nicht, Herrn Hahn zu fragen. Herr Hahn, Kapitän und Bootsmann zugleich, bringt mit seiner Fähre bei Stolpe im hintersten Vorderpommern Zugereiste über die Peene. Die Fähre durchquert den pommerschen Amazonas, weil Herr Hahn sie an einem Stahlseil durch den Strom kurbelt. Diese Schifffahrtstechnik ist bekanntlich etwas angejahrt, weswegen unsereins sofort vermutet, die Geschichte sei hierorts nie richtig in Gang gekommen. Das aber ist ein Irrtum. In Stolpe gibt es nicht nur beeindruckende Natur, sondern sehr wohl auch eine ansehnliche Historie.
Die ältere Ortsgeschichte beginnt in Stolpe anno 1136 mit dem Mord an dem zum Christentum übergelaufenen Pommern-Herzog Wartislaw I. Umgebracht hat den Greiffenfürsten ein wendischer Heide, wodurch das hochgeborene Opfer zum Märtyrer aufstieg. Wartislaws Söhne bauten ihm zu Ehren eine Kirche, und ein Bruder namens Ratibor stiftete ein Benediktiner-Kloster, von dem heute noch einige grobe Mauern stehen, obwohl 1637, im 19. Jahr des Dreißigjährigen Krieges, die Kaiserlichen über die Peene setzten, das Kloster brandschatzten und die Mönche maltraitierten. Später geriet Stolpe unter die Preußen, was sich weniger aufregend gestaltete, und der Franzosentid-Reuter weilte dort gern. Schließlich kam das Gut an einen Bülow. Die letzten Nachfahren dieses Namens auf Stolpe schlitterten in den Zwanzigern des letzten Jahrhunderts in finanzielle Schwierigkeiten, was in jener Zeit Gutsherrenart war. In Stolpe aber stellte sich ein Retter aus Hamburg ein. Ein Herr Stürken, Kaufmann seines Zeichens und bei Vermögen. Er heiratete eine flügge Bülowtochter und brachte das Gut wieder in Schuss.
Gutshaus Stolpe
                Foto: Eigentümer
Fürs Weitere ist Herr Hahn zuständig: Wie im Frühjahr 1945 die Russen kamen, wie sie wieder verschwanden, was sich inzwischen abgespielt hatte, und wie erneut ein Stürken aus Hamburg auftauche, Grund und Boden und Gutshof in den Familienbesitz zurückbrachte, und das Anwesen abermals rettete, indem er ein französisch klingendes Relais & Chateaux schuf, dies aber möglichst nach britischer Art. Und so erhielt auch Herr Hahn sein Auskommen als Fährmann, weswegen es höchst unwahrscheinlich ist, dass er insgeheim denkt, wie viel zuviele Leute in Bargischow denken.
Was zuviele Leute 17 Kilometer östlich von Dorf und Gut Stolpe in Bargischow denken, ist nämlich ein Graus. Ich zitiere die Autoren Astrid Geister und Christoph Schultheis und ihr in seiner Nüchternheit knallhartes Buch Heile Welten – Rechter Alltag in Deutschland (Hanser Verlag, München 2011): „Einen Namen hat sich die 380-Einwohner-Gemeinde in den vergangenen Jahren nur bei Verfassungsschützern und Politologen gemacht. Bargischow gehört zu jenen Orten im Nordosten, wo die NDP die besten Ergebnisse ihrer Parteigeschichte erzielte: 31,6 Prozent der Stimmen holte sie bei den Landtagswahlen 2006 – mehr als irgendeine andere Partei... Bei der Kreistagswahl 2009 kam sie auf 21,4 Prozent. Und kein Kreistagskandidat bekam in Bargischow mehr Stimmen als der Anklamer NPD-Politiker Michael Andrejewski. Freies Pionierland mit idealen Standortfaktoren sei diese Gegend, schwärmte der NPD-Mann schon vor Jahren. In kaum einer Region gebe es eine geringere Systembindung, wenige seien so heruntergewirtschaftet: ,Hier ist der Abgrund schon da, wir geben ihm nur einen Namen.´“
Hanser Verlag, München
224 S., 15,90 €
Von Bad Godesberg am Rhein bis Strehla an der Elbe orten Geisler und Schultheis braune Nester. Das in Bargischow gehört zu den übelsten. Gründe  für den Unterschied zu den Leuten in Stolpe? Der offensichtliche: In Stolpe blüht die Landschaft, in Bargischow ist sie auf den Hund gekommen. Aber der Wohlstand von Stolpe ist nicht vom Himmel gefallen. Jemand hat Mut gehabt. Abgesehen davon, ist in Bargischow Gegenwehr überfällig. Es gilt, die Anführer des Mobs als das bloßzustellen, was sie sind – als Maulhelden, die vom Elend ihrer Gefolgschaft zehren.
Und: Der Abgrund gähnt in den Seelen von Mitmenschen. Er erfordert dringlicher Abhilfe als die Frostschäden in der Dorfstraße.
jn, 9. Februar 2011 

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