Montag, 28. Februar 2011

Archimedischer Künstler: Attila Csörgö

    Im Werden: Hemisphere von Attila Csörgös   © jn-foto         
Mit der berühmten Naturweisheit der alten Griechen verhält es sich so: Der Philosoph heftet seinen Blick an den staunenswerten gestirnten Himmel über sich und kann die Augen von ihm nicht wieder losreißen. Ganz begreiflich, dass er versucht, im Firmament die Weltordnung zu erkennen. Irrtümlich nimmt er jedoch von vornherein an, sie, diese Ordnung, beziehe sich unmittelbar auf ihn selber. Weil dies nicht so ist, er den falschen Schluss aber nicht erkennen will, behilft sich er früher oder später und denkt sich etwas aus. Beweisen kann er seine Vermutungen nicht. Sie klingen jedoch wunderbar – und so bleibt es Philosophen-Brauch bis hin zu Platon, der neben anderem der Vollender des frühen Nachdenkens des abendlän-dischen Menschen über die Natur ist. Das warnende Beispiel, das bis heute Thales aus Milet angehängt wird, verhindert laufende Missverständnisse nicht. Das Pech des Thales: Er starrt hinauf zum Himmel, sieht den Brunnen zu seinen Füßen nicht und stolpert in die Tiefe. Seine Sklavin – er hat nur eine, und wahrscheinlich ist sie ihm auch im Bett zu Diensten, sieht zu, lacht sich scheckig und hilft ihrem pudelnassen Herrn und Meister wieder nach oben.[1]
Resultat: Hemisphere  © Katalog
Was passiert, wenn Platon einem modernen Künstler in die Synapsen schlägt, ist jetzt in der Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle zu besichtigen. Es verblüfft, stimmt so wenig wie die ersten Reime, die sich der Homo sapiens auf das Weltall machte, und amüsiert ungemein. Allerdings ist der eingeschlagene Weg durchweg interessanter als das schließlich erreichte Ziel, zum Beispiel eine Käseglocke aus strahlendem Licht, genannt Hemisphere. Der Künstler heißt Attila Csörgö, die Ausstellung  Der archimedische Punktund beide verdienen, dass sie mehr Zulauf bekommen als die Pressekonferenz zur Eröffnung, die dem Künstler und seinen Kuratorinnen ersichtlich der Hamburger S-Bahn-Streik vermasselt hat.
Anders gesagt: Attila Csörgö aus Budapest, Jahrgang 1965, ist ein Tüftler hohen Ranges. Er bastelt nicht nur seine Motive, sondern auch seine Kameras selber zusammen, wartet ab, was das Zusammentreffen beider ergibt, und kreiert so seine Spielart von Zufallskunst. Beschreiben lässt sich sein Werk im Einzelfall nur äußerst mühsam, und zu verstehen wäre ein nachvollziehender Bericht über die Retrospektive auch bei größter Bemühung des Verf. um Verständlichkeit sehr wahrscheinlich nur noch mühsamer. Darum: Durchschlagen des Gordischen Knotens nebst entsprechendem Ratschlag als Hilfsmittel: Hingehen und selber gucken, wobei die Kenntnisnahme der hochgestochenen, zum Glück aber erfrischend ironischen Selbstauslegung des Künstlers unerlässlich ist. (Bis zum 15. Mai.)


[1] Platon Theaitetos 174 a, zit. nach: Luciano de Crescenzo, Geschichte der griechischen Philosophen – Die Vorsokratiker, Zürich (Diogenes) 1985, S. 34

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen