Sonntag, 13. Februar 2011

Quellen(selbst)kritik*

Wieland Försters Johnson-Büste in Güstrow foto: jn-Archciv

Anruf meines Kollegen und Freundes Gerhard E. Gründler: „Ich schick dir mal was aus der Süddeutschen. Du liest es ja sonst nicht.“ Hilfestellung und Tadel zugleich. G.G. missbilligt, dass ich nur noch das Morgenblatt aus Frankfurt gründlich studiere und mich im übrigen damit begnüge, spiegel-online, einschließlich der Inhaltsangaben in Heute in den Feuilletons, durchzuflöhen und mir bei Bedarf die Originalbeiträge aus dem Netz zu holen oder sie mir am nächsten Kiosk zu besorgen, was noch ein flüchtiger Blick in die Bergedorfer Zeitung  ergänzt, falls ich früher aufstehe als meine Nachbarn, die BZ-Abonnenten Annette und Gunnar B., und sie sich das Blatt nicht schon gegriffen haben. Was G.G. geschickt hat, war selbstverständlich interessant. Darauf ist bei ihm Verlass. Leider habe ich vergessen, worum es sich handelte.
Ein schlechtes Gewissen habe ich wegen der selektiven Arbeitsweise nicht. Erstens bin ich kein Redakteur mehr, sondern Pensionär. Zweitens bin ich auch sonst hinreichend mit Lesen beschäftigt. Drittens will ich noch dazu kommen, selber ein paar Zeilen abzusondern. Und viertens: Hat nicht Uwe Johnson die drei Bände seines Jahrestage-Romans mit den Lesefrüchten aus einer einzigen Zeitung, der New York Times, imponierend unterfüttert? 
Beiseite gesprochen: Einige Autoren lese ich grundsätzlich nicht, zum Beispiel den Schlauberger Fritz J. Raddatz, der seinerzeit Zeter und Mordio geschrien hat, als Tilman Jens, jung, wie er war, im Februar 1984 in in Sheerness on Sea/England, in Johnsons Selbstmordklause eingebrochen war und beschrieben hatte, was dort vorzufinden gewesen war – bis heute das Lehrbeispiel eines sagen wir: zwar übers Ziel hinausschießenden, jedoch nicht von Grund auf amoralischen journalistischen Eifers, wie Moralhüter vom Schlage des Kollegen Raddatz auf der Stelle überzeugt waren.
Wunderbare Zeiten im Feuilleton! Heutzutage muss der Kulturteil auf Biegen und Brechen versuchen den Politik- und Wirtschaftsressorts auf deren Gelände den Rang abzulaufen, wenn er noch zur Kenntnis genommen werden will...
Bis hierhin und nicht weiter. Alte Leute sollen nicht von alten Zeiten schwärmen. Und zur Aufmunterung die beiden ersten Sätze von Johnsons Roman Jahrestage – Aus dem Leben von Gesine Cresspahl: „Lange Wellen treiben schräg gegen den Strand, wölben Buckel mit Muskelsträngen, heben zitternde Kämme, die im grünsten Stand kippen. Der straffe Überschlag, schon weißlich gestriemt, umwickelt einen runden Hohlraum Luft, der von der klaren Masse zerdrückt wird.“
Schöner geht es nicht – ich vermute, nicht nur für Töchter und Söhne der Ostsee.
* Die Überschrift lautete ursprünglich Zeitung lesen, Romane lieben- ein Geständnis. Sie missfiel mir vom ersten Moment an.
jn, 13. Februar 2011

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen