Freitag, 15. April 2011

Selbst – auch Camouflage

Some Thames: Vier Wände  und die Wasser der Themse 
© jn-foto
Einem, der wie ich am Wasser aufgewachsen ist, muss niemand erzählen, wie faszinierend Wasser sein kann. Es sollte sich allerdings bewegen, was es auf Fotografien nun einmal nicht tut. Die New Yorkerin Roni Horn, geboren 1955, schafft es trotzdem, mit Fotos vom Wasser zu begeistern. Sie hängt achtzig Wasser-Aufnahmen neben-einander in Augenhöhe an weiße Wände, und das Wasser lebt. Jedes Bild in den Farben und Formen, die ihnen der unsichtbare Wind und der ausgesparte Himmel zuliefern, ist ein Kunstwerk für sich; sie überwältigen mittels Vielzahl.
  a.k.a.: Roni Horn oder doch jemand anderes    © Roni Horn
Die Fotogra-fin lässt uns wissen, es handele sich um die Was-ser der Themse bei London und sie meine mit ihren Bildern auch die Weltgeschichte, die hier reichlich in Szene gegangen ist. Beweiskräftige Ansichten von Gebäuden am Ufer wie beim Maler Turner oder von Brücken wie bei Turners Kollegen Whistler gibt es nicht. Nur Wasser. Es könnten auch die Wasser der Elbe bei Hamburg oder die eines Fjords in Norwegen sein, aber die New Yorkerin mit auffälliger Liebe wohl nur ausnahmsweise zu London, vor allem aber zu Island und den Isländern, ist versessen auf Identitäten, und also wird die Auskunft stimmen.
Identität, sagt Petra Roettig, die mit Gonçalo Sousa Pinto die Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle kuratiert hat, ist bei Roni Horn immer auch Camouflage. Das zeigen dreißig paarweise gehängte Porträts. Der Betrachter braucht eine Weile, bis er kapiert, dass sie sämtlich die Fotografin selber zeigen. Die erstaunliche Konstanz in Gesichtern, die es uns ermöglicht, einen Menschen sein Leben lang wiederzukennen, das junge Mädchen oder den Jüngling noch in hochbetagten Frauen und Männern, dieser Streitfall für Physiognomiker, scheint gegenstandslos zu sein: Roni Horn sieht sich frappierend unähnlich. Die Serie heißt Naturgewalt: Roni Horns aka. Die Abkürzung a.k.a. steht im Englischen für also known as (auch bekannt als) und deckt sich ungefähr mit dem bei uns gebräuchlichen lateinischen alias. Mit sich selber unzweifelhaft in Übereinstimmung ist das Thema: Gezeigt wird, was gemeint ist; der Betrachter muss es nur herausfinden.
You are the Weather
© Roni Horn 
Roni Horn meint mit ihren Bildern immer etwas, und es ist durchweg der Mühe wert, sich darüber den Kopf darüber zu zerbre-chen. Gelegentlich schießt ein Bild oder eine Serie übers Ziel hinaus. Etwa dann, wenn das sehr weiche Gesicht eines isländischen Teenagers  – Junge oder Mädchen? – neben Aufnahmen von Geysiren hängt. Es brodelt in Menschen dieses Alters? Nun ja, das wussten wir schon. Das Gegenstück, das Gesicht einer jungen Frau, 36fach, auch einer Isländerin, mit der Überschrift You are the Weather ist Wetter und Gesicht in einem. Es überzeugt sofort, ob nun Spuren eines Regens im Spiel sind oder nicht. In einer Serie mit dem Titel Clowd and Cloun - watch the diphthongs! – spielt Roni Horn mit Cumulus humilis und Bajazzos rotem Mund. Assoziationen verflüchten sich rasch. Da bleibt das Spiel ein Spiel. – Wir dürfen schwelgen im Raffinement dieser Ausstellung, deren Pointen nicht auf Gelächter zielen, sondern auf Nachdenken.
Beeindruckend und reich an Überraschungen: Roni Horn: Photographien in der Hamburger Kunsthalle. Bis zum 14. August.
Clowd and Cloun: Wer ist wer?                     © jn-foto

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