Donnerstag, 14. April 2011

Vom überwundenen Misstrauen

Politiker misstrauen Journalisten. Nicht nur falsche Antworten, die man ihnen gibt, können Schaden anrichten, denkt der Politiker, sondern auch zutreffende. Es genügt, dass jemand die Auskünfte in den falschen Hals kriegt oder sie absichtlich missversteht und sich über sie das Maul zerreißt. Schuld sind dann, so das verlässliche Ritual, regelmäßig die Journalisten, die ihrerseits Politikern misstrauen. Die Politiker nämlich, denkt auf der anderen Seite des trennenden Grabens der Journalist, geben grundsätzlich nur so viel von ihren Ansichten und Absichten preis, wie ihnen im politischen Geschäft nützt – ganz zu schweigen von den Beweggründen, die angeblich immer und ewig edelster Natur sind.
Das Misstrauen auf Gegenseitigkeit blüht nicht nur zwischen Journalismus und Politik, sondern ganz allgemein zwischen den Medien und dem Rest der Welt. Im politischen Tagesgeschäft fällt es lediglich am häufigsten auf, weil niemand so sehr auf ein vorteilhaftes Bild in der Öffentlichkeit angewiesen ist wie ein Politiker, und das Unheil der üblen Nachrede, das ihn Kopf und Kragen kosten kann, hinter jeder Ecke lauert. Was aber passiert, wenn sich zwischen einem Journalisten und einem Politiker trotz alledem ein sogenanntes Vertrauensverhältnis entspinnt und wenn es wider alle Erfahrung Jahrzehnte Bestand hat, ist einfach beschrieben: Der Ausnahmefall weckt landauf, landab Misstrauen.
In der Bundeshauptstadt Bonn, unter der Käseglocke namens Bonn am Rhein, war leicht zu erkennen, wer mit wem konnte und wer nicht. Mit einem konnten die wenigsten, mit dem als explosiv bekannten Spitzen-SPD-Mann Herbert Wehner. Die Ausnahme war  der Bonner NDR-Korrespondent Jürgen Kellermeier, dem dann im NDR ein mustergültiger Aufstieg gelang. Ihm imponierte Wehner; er verehrte ihn womöglich sogar in der Tiefe seines Herzens, aber weder Politiker noch Journalisten kreideten es ihm an.  Kellermeier strahlte gewissermaßen von Natur Unbestechlichkeit aus und nahm nichts ernster als seinen Beruf. Charme und Witz, über die er verfügte, begrenzte er, ein Preuße aus Bielefeld,  aufs Privatleben, Ruppigkeit, die ihm ebenfalls nicht fremd war, auf den internen Dienstbetrieb.
Was Wehner den Kommunisten von ehedem, der Stalins großer Säuberung entkam und sich unter größten, mühsam verbissenen seelischen Schmerzen zum Sozialdemokraten der Sonderklasse wandelte, und Kellermeier, den Jour-nalisten mit SPD-Parteibuch, füreinander wie geschaffen aussehen ließ, ihre Annäherung auf vermintem Gelände nebst dem daraus resultierenden langen Zusammenwirken hat jetzt Kellermeiers Kollege Rudolf Großkopff als ein Stück Mediengeschichte beschrieben: Es gibt verblüffende Ähnlich-keiten und Gemeinsamkeiten zwischen beiden Männern, von der zierlichen Handschrift über die unauffällige Kleidung mit Schlips und Kragen bis zu solidem Wohngeschmack, und das sind nur die Äußerlichkeiten. Vor allem gibt es kompatible Denkweisen, die es beiden erlauben, sich aufeinander einzurichten und dabei den eigenen Standpunkt zu suchen und zu finden.
Großkopfs Beschreibung ist schlüssig und lehrreich zugleich. Eins allerdings lehrt sie nicht: Wie andere das Spiel nachahmen könnten. Voraussetzung waren zwei unverwechselbare Charakterdarsteller der Politik und des Journalismus.

Rudolf Großkopff, Die Macht des Vertrauens. Herbert Wehner und Jürgen Kellermeier. Die ungewöhnliche Beziehung zwischen einem Politiker und einem Journalisten. Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2011, 96 S., 12,95 Euro

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen