Dienstag, 19. April 2011

Vertrauen in den Herdentrieb

Frans de Waal ist ein Menschenfreund und Belletrist unter den Naturforschern. Dass er gelegentlich Abneigungen gegen Zeitgenossen eingesteht, reduziert seine Philanthropie auf ein erträgliches Maß. Über einen deutschen Biologen an der Universität Nimwegen gibt er zum Besten: „Er hielt nichts von Äther, sondern nahm einfach eine Schachtel mit lebenden Mäusen und wendete uns den Rücken zu. Wenige Minuten später lag ein Haufen toter Mäuse mit gebrochenem Genick auf dem Labortisch.“ Der Student von damals, mittlerweile selber Professor für Primatenverhalten an der Emory University in Atlanta und dank seiner Arbeit mit Schimpansen weltberühmt, räumt ein, die Hinrichtung der Versuchstiere, wissenschaftlich gesprochen: die zervikale Dislokation, sei vermutlich, weil rasch erledigt, humaner gewesen „als andere Formen der Euthanasie“. Und so findet der Gelehrte seinen Lehrer, den andere für einen entlaufenen KZ-Aufseher hielten, im Nachhinein lediglich „etwas furchterregend“.
Der Schimpanse
Aus: Brehm´s Illustrirtes Tierleben von 1868
So viel zur Gemütsverfassung des Autors. Sie unterbindet zum Glück nicht seinen Humor und hindert ihn nicht, frappierende Forschungsberichte zu liefern. Seine Grundeinsichten: Die Weisheit Homo homini lupus* des Römers Plautus (um 254 bis 184 v.Chr.), aufgefrischt vom Engländer Thomas Hobbes (1588 bis 1679 n.Chr.) sei eine "fragwürdige Aussage über unsere eigene Art, die sich auf falsche Annahmen über eine andere Art stützt“. Beide, Menschen und Wölfe, seien Säugetiere, die in Rudeln leben. Folglich seien sie aufeinander angewiesen, und wenn sie auch nicht gut sein mögen, gehen sie doch von Natur aus weniger bösartig miteinander um, als gern behauptet werde. Eine ähnliche harsche Abfuhr erteilt de Waal dem Philosophen Immanuel Kant. Der Deutsche habe zwar zugegeben, dass Mitleid eine schöne Sache sei; besessen vom Gedanken an die Pflicht, habe er der edlen Regung aber jedes Gewicht für ein tugendhaftes Leben abgesprochen: „Wer braucht schon fürsorgliche Gefühle, wenn nur die Pflicht zählt?“
Übertreibt Frans de Waal?
Mit seiner Kant-Kritik schießt er übers Ziel hinaus. Andererseits: Ich glaube ihm ihm nur zu gern die wohlgemuten Erkenntnisse, die er aus dem freundschaftlichen Lächeln von Schimpansen, aus ihren Umarmungen und ihren Küssen gewinnt. Könnte es einem Literaten zu Gesicht stehen, einem Verhaltensforscher Poesie vorzuwerfen?
Whatever can go wrong, will go wrong – der Biologe de Waal akzeptiert die Lebensweisheit des Ingenieurs Edward A. Murphy. Oder will jemand behaupten, was schiefgehen könne, gehe nicht schief? De Waal spricht vom Gesetz der unbeabsichtigten Folgen und meint menschliche Projekte. Der Biologe warnt nachdrücklich davor, an der Natur herumzubasteln: „ob wir den Nilbarsch in den Viktoriasee, das Kaninchen in Australien oder die Kudzupflanze in den Südwesten einführen...“ Und er verwahrt sich gegen die verhängnisvolle Praxis, die Menschennatur nach den Maßstäben von Ideologien zu konditionieren.
Wir wissen, unter dem Vorwand von Heilsversprechen geschieht dies zumeist, um die Gefolgsleute fit zu machen für den Kampf um Macht und Markt – mit welchen Begründungen und in welchen Dimensionen auch immer.  
„Empathie für andere Völker ist der Rohstoff, den die Welt noch dringender braucht als Öl“, hält Frans de Waal  dagegen.
Um es mit Immanuel Kant zu sagen, unsere Pflicht wäre es mithin, nicht nur Empathie zu empfinden, sondern ihr nach Kräften Entwicklungshilfe zu leisten.
Eine Illusion?
Was der Mensch dem Menschen und nicht nur ihm antun kann, steht tagtäglich in der Zeitung.  Frans de Waal setzt dennoch darauf, dass Abhilfe gelingen könne: „Wir fordern unsere Spezies doch nicht zu wesensfremden Dingen auf, wenn wir vorschlagen, sie solle sich wieder stärker an den alten Herdeninstinkt halten, der die Tiergesellschaften seit Jahrmillionen zusammenhält.“
Möge die Menschheit dem Vorschlag folgen.
* Der Mensch ist des Menschen Wolf


Franz de Waal: Das Prinzip Empathie. Was wir von der Natur für eine bessere Gesellschaft lernen können. Mit Zeichnungen des Autors. Aus dem Amerikanischen von Hainer Kober. Hanser Verlag, München, 352 S.,  24,90 €

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