Montag, 14. März 2011

Literaturfrühjahrssaison 2011

Gaddafi und die japanische Apokalypse haben es geschafft: Noch nie seit meinen ersten Auftritt als Literaturredakteur in Frankfurt/M im Jahre 1959 hat mich eine Buchmesse so wenig gelockt wie die Leipziger in diesem Jahr. Dabei sind die Höhepunkte meiner Leidenschaft für Buchmessen Merkpunkte meiner Biografie. Beispiele: 1967 will die geballte Apo mit Daniel Cohn-Bendit an der Spitze den Stand der Welt der Literatur auseinandernehmen; ich kann die Mannen und Maiden der Weltrevolution jedoch erstaunlicher Weise besänftigen, und der Stand steht noch, als sie abziehen. Ein halbes Jahr später fordern mich in Leipzig Mielkes Leute auf, die DDR stehenden Fußes zu verlassen. Die Begründung: Ich habe den Arbeiter- und Bauernstaat beleidigt, als ich mir herausnahm, den Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die CSSR mit dem Überfall Hitlers auf die Tschechoslowakei zu vergleichen. Gleichgültig aber, ob die Messen gesteigerten Unterhaltungswert hatten oder eher langweilig waren, sie waren mein Ding. Entweder ich fuhr hin, oder ich beobachtete sie sorgfältig von weitem. Diesmal? Mich kümmert der Literaturfrühling 2011 nicht.
Ohne Ausnahme?
Das dann doch nicht. Im Vorfeld ist ein Versuch geeignet, Aufmerksamkeit für Dichtung zu wecken – der doppelte Versuch des Dichters und Literaturwissenschaftlers Dirk von Petersdorff, Jena, und des Wissenschaftsforschers Michael Hagner, Zürich,  dem Buch Gehirn und Gedicht von Raoul Schrott und Arthur Jacobs auf den Grund zu kommen (Hanser, München 2011, 544 S., 29,90 €). Schon die Überschriften – bei Petersdorff  Der Reim kann bleim, bei Jacobs Alle Neuronen im Schrank?* –versprechen Genuss, und dass Raoul Schrott mit von der Partie ist, kitzelt die die Neugier noch  – jener Schrott, der anno 2008 kurzentschlossen Troja von  der Ebene der Troas nach Kilikien verlegt hat, mit nichts als höchstpersönlichem Augenschein als Argument. Nun also widmet er seinen Einfallsreichtum Neuronen und Synapsen.
Die Literatur fordert in der Frühjahrssaison 2011trotz allem ihr Recht? Sie versucht es. Viel Hoffnung, dass sie sich durchsetzt wird, sollten wir uns nicht machen. Gaddafi, Erdbeben, Tsunami und Atomcrash sind schwer auszustechen.
*Alle Neuronen im Schrank?, FAZ 59/2011 vom 11. März, S. 34, im Netz leider nicht verfügbar

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