Donnerstag, 31. März 2011

Porträts in Serien - Gesichter eines Jahrhunderts

Eine der beiden Kuratorinnen lässt sich auf der Pressekonferenz entschuldigen; die Pressechefin des Hauses ist ebenfalls nicht anwesend. Die Honneurs macht stellvertretend die Direktorin, eine erklärte Generalistin. Zum Glück übernimmt die Mit-Kuratorin von der kooperierenden Niedersächsischen Sparkassenstiftung die Einführung und macht ihre Sache ausgezeichnet. Die Abwesenheiten müssen nicht mehr bedeuten, als dass da zwei Mitarbeiterinnen in Urlaub oder krank sind und dass die Direktorin pflichtgemäß einspringt. Dummer Weise ist die Lage der Kunst in Hamburg so geartet, dass wir überall Unrat wittern.
Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe bietet Orientierungs-hilfe im Tsunami, mit dem die Lichtbildkunst mittlerweile über die Welt der Bilder hinwegfegt. Die Ausstellung Portraits in Serie – Fotografien eines Jahrhunderts kann sich nicht nur sehen lassen, sie lehrt darüber hinaus, was die Fotografie sich selber  antut, wenn sie in Serie geht.
Irving Penn: Der Boxer Joe Louis                        
Nicht dass sie ihr Thema auch nur annähernd ausschöpfte – das brächte kein Kuratorenteam der Welt zuwege, aber gezeigt wird, was mit Bildern passiert, wenn sie mit mehr oder minder ins Auge springender Verwandtschaft des Inhalts oder der Form zueinander in Beziehung treten: Sie beleben ein Thema neu, oder besser: Sie fächern es auf. Wir sehen buchstäblich mehr, als wir in denselben Bildern wahrnehmen könnten, wenn sie niemand zusammengehängt hätte. Der ausgedroschene Begriff Spannung tritt wieder in Funktion. Ein Beispiel: Irving Penn porträtiert den gelassen in einer Ecke ausruhenden Boxer Joe Louis. Auf dem Foto daneben hockt der hauptberufliche Ästhet Truman Capote so unbequem wie möglich oben auf einem Stuhl – als hätte ihn die Angst vor dem Champion auf die Lehne gejagt. Nicht dass uns einfiele, der Boxer könnte den empfindsamen und zugleich unsäglich eitlen Autor der Grasharfe und des Frühstücks bei Tiffany´s tatsächlich bedrohen, beileibe nicht. Aber diese zwei Zeitgenossen nebeneinander liefern einen köstlichen Aspekt der großen menschlichen Komödie unmittelbar vor dem Moment, in dem sie ins Tragische umschlägt.
Irving Penn: Truman Capote
Gegenbeispiel: Roni Horn fotografiert x-mal das ungeschminkte Gesicht  Isabelle Hupperts. Die Lippen der Schauspielerin sind leicht geöffnet oder geschlossen, die Stirn ist glatt oder leicht gerunzelt. Mehr Unterschied fällt kaum auf. Aber dieses fast gleiche Gesicht weckt schier unweigerlich die Lust, eine passende Geschichte zu erfinden, und nackt, wie es ist, ist es schön..
Undsoweiter. Die berühmten Porträts der Meister des Genres, die Menschenbilder, die uns August Sander und Stefan Moses beschert haben, beweisen auf den ersten Blick, dass sie völlig zu Recht berühmt sind. Frühe Arbeiten des nachgewachsenen Thomas Ruff leuchten weniger ein. Der Versuch des Meisterschülers, die Individualität seiner Kollegen auf der Akademie  gewissermaßen wegzufotografieren, war ganz gewiss ein Holzweg. Aber auch das fällt ins Kapitel Spannung – ins Kapitel Spannung zwischen den Fotos von lauter Individualisten der Zunft.
Mir fällt einer ein, dessen Atelier nur einen Steinwurf vom Museum für Kunst und Gewerbe entfernt lag. Dieser zeit seiner Karriere in Geschichten und Gesichter, am Ende aber in Bäume und Blumen vernarrte Fotograf Wilfried Bauer, ein schweigsamer Arbeiter im Weinberg der Fotografie, der die besten Bilderblätter belieferte, hortete in seiner Werkstatt jedes Foto, das aus seiner Kamera stammte, sofern es seinem selbstkritischen Blick genügte. Eine Serie reihte sich an die andere. Ende 2005 sollte Wilfried Bauer sein Quartier im Hamburger Stadtteil St. Georg räumen. Der Grund war banal. Das Haus war vom Schwamm befallen. Doch der Fotograf verzweifelte am Versuch, die Kisten und Kasten mit seinem Lebenswerk fortzuschaffen. Am Ende goss er Terpentin auf den Bohlen, zündete seine Werkstatt an und sprang aus dem Fenster. Die Bilder waren ihm über den Kopf gewachsen.
Roni Horn: Die Schauspielerin Isabelle Huppert
Soviel über die Leidenschaft von Fotografen für ihre Kreationen, wobei auch in dieser Tragödie die Frage offen bleibt, ob das Auge des Fotografen oder das Stück Wirklichkeit, das er ablichtet, die Qualität ergibt. Diese Frage ist falsch gestellt. Es geht um beides.
Museum für Kunst und Gewerbe (MKG): Porträts in Serie - Fotografien eines Jahrhunderts. Kuratorinnen: Gabriele Betancourt Nuñes, Ulrike Schneider. Vom 1. April bis zum 17. Juli 2011

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